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HARVARD
COLLEGE
LIBRARY
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JULIAN UND DION CHIIYSOSTOMOS.
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Von
J. R. Asmus.
Beilage zum Jahresbericht des Grossherzogliehen Gymnasiums
zu Tauberbischofsheim 1898.
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Progr.-Nr. 628.
Tauborbiseliofoheim.
Druck von J. Lang's Buclidruckerci.
1895,
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n KVARO COLLE€C LIMAIV
/ 6IFT OF
(iANCIS H. FOBES
AUa 30, 1121
Inhalt,
Einleitung ......
Julians Mustermythos ....
Komposition des Mustermythos
Julians Mustermythos und Dion
Julians Skizze des Heraklesmythos, der Mustermythos und
Julians siebente Rede und Dion
Deutung des Mustermythos ....
Julians zweiter Panegyrikos, der Mustermythos und Dion
Julians Trostredc und Dion ....
Julians Caesares .....
Julians Caesares und Dion ....
Julians Mustermythos und die ^.lOsares
Das philosophische Herrscherideal bei Julian und Dion
Verbindung des Herakles- und Dionysosmythos bei Julian
Julians Brief an Thcmistios und Dion .
Julians Brief an Themistios und die Caesares
Julians grosses Brieffragment und Dion
Julians Galiläerschrift und Dion
(ulians Misopogon und l»ion
Julians Verhältnis zu den Kynikern
Schluss ......
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1.
»Julian war in vielen Dingen nichts weniger
als ein Originalgenie«. Klopstcck.
»Gemacht, aus Reniinisccnzen zusammengesetzt
sind die Schriften Julians«. Biraaas.
Die Wahrnehmung, dass der Kaiser Julian in seinen Werken sich hier und da mit
dem RhetorDion Chrysostomos berührt, ist keineswegs eine neue. Vielmehr reichen die
Schriften, welche dieses Thema behandeln, bis ins siebzehnte Jahrhundert zurück. Es sind in
chronologischer Aufzählung folgende:
Spanheim's »Observationes« zu Jul. or. i in seiner Gesamtausgabe von Julians
Werken, Lips. 1696 fol. — Wyttenbach's »Animadversiones« zu Jul. or. i und desselben
»Epistola critica super nonnullis locis Juliani etc.« (abgedruckt in Schäfer's Ausgabe von Jul.
or. I, Lips. 1802 p. 131 ff. und 225 ff.). — Hertlein in seiner Julianausgabe, Lips. 1875 ff.
p. 275. — Weber, »De Dione Chrysostomo Cynicorum sectatore« (Leipz. Stud. zur class.
Philol. 10. 1887) p. 98,2; 238,3. — Barner, »Comparantur inter se Graeci de regentium
hominum virtutibus auctores« (Diss. Marp. 1889) p. 44. — Frachter, »Dion Chrysostomos
als Quelle Julians« (Arch. für Gesch. der Philos. 5. 1892) p. 42 ff. — Schwarz, »Julian-
studien« (Philologus 51) p. 651. —
Alle diese Arbeiten mit einziger Ausnahme der an vorletzter Stelle genannten streifen
unsere Frage bloss gelegentlich, indem sie vereinzelte Aehnlichkeiten bei Julian und Dion
nachweisen. Aber auch Prächter's sorgfältige Untersuchung, die in dem »Nachweise« gipfelt,
»dass bei Abfassung eines Teiles der zweiten Rede Dion Chrysostomos dem Julian vorgelegen
hat«, bleibt am einzelnen haften und bringt es nicht zu einer einigermassen umfassenden Be-
trachtung der Abhängigkeit des Kaisers von dem Rhetor. Und doch hatte er so gut wie
schon Barner den für dieselbe in erster Linie massgebenden Gesichtspunkt, wenn auch nicht
mit der nötigen Schärfe und Deutlichkeit, richtig erfasst. Es ist der vielgestaltige philosophisch-
politische Topos »von der Königsherrschaft«, in dessen Behandlung Julian sich durch-
gehends als Schüler Dions erweist. Eine annähernd erschöpfende Darstellung dieses Ab-
hängigkeitsverhältnisses wird sich daher auf dem vergleichenden Studium der beiderseitigen
Schriften aufbauen müssen, welche in irgend welcher Beziehung von »der Königsherrschaft«
und den damit zusammenhängenden Fragen handeln. Dass dabei jede einzelne Entlehnung
Julians aus Dion nachgewiesen werde, wäre bei dem grossen Umfange der litterarischen
Hinterlassenschaft des Rhetors ein unbilliges Verlangen. Wir werden uns daher damit be-
gnügen, die wichtigsten Uebereinstimmungen hervorzuheben. Da das genannte Thema bei
IV
dem Kaiser an den verschiedensten Orten erörtert wird, so eröffnet eine derartige Unter-
suchung neben dem Gewinne für ihren unmittelbaren Zweck auch noch die Aussicht, manches
zum bessern Verständnisse der Werke Julians im einzekien und zur Erkenntnis ihres inneren
Zusammenhanges beizutragen. Diese Nebenabsicht wird am besten dadurch erreicht, dass
wir im folgenden nicht sowohl eine systematische Darstellung der julianischen und dioneischen
Ansichten über »die Königsherrschaft« zu geben, als vielmehr von diesem Gesichtspunkte aus-
gehend die einzelnen Schriften des Kaisers, die hier in Betracht kommen, auf Dion zurück-
zuführen gesonnen sind. Endlich hoffen wir, mit der kulturhistorischen Begründung dieses auf
den ersten Blick so aufTälligen engen Anschlusses des Kaisers an den Rhetor auch die
Auffassung, welche Julian von seiner eigenen Herrscheraufgabe hatte, in ein helleres Licht
setzen zu können. — Die Belege geben wir durchweg in deutscher Uebertragung mit mög-
lichst engem Anschlüsse an das griechische Original (Juh'an. ed. Hertlein und Dion. ed. Dindorf,
Lips. 1857), wobei uns, da sowohl für Dion als für Julian eine vollständige Uebersetzung
noch aussteht^), grossenteils leider fast gar keine Vorarbeiten zur Verfugung standen. Was
wir aus der umfangreichen Julian- und Dion-Litteratur ausser den bereits genannten Werken
benützen konnten, ist jeweils an Ort und Stelle ausdrücklich namhaft gemacht. Zur Ergänzung
unserer Ausfuhrungen über einzelne Schriften des Kaisers verweisen wir schliesslich noch auf
unsere Abhandlungen; »Gregorius von Nazianz und sein Verhältnis zum Kynismus (Theol.
Stud* und Krit, 1894 p. 314 ff.«, »Theodorets Therapeutik und ihr Verhältnis zu Julian (Byzant.
Zeitschr. 3. 1894 p. 116 ff.)«, »Eine Encyklika Julians und ihre Vorläufer (Zeitschr. für
Kirchengesch. 16. 1895)« und »Ist die pseudojustinische Cohortatio eine Streitschrift gegen
Julian? (Zeitschr. für wissensch. Iheologie 38. 1894)«*).
*) Für Dion stellt eine solclic in Aussicht Stich, » . . . Drei Reden des Dio Chrysostomus [}6. 12. 18.]
• . . übertragen und erläutert. . . « Progr. Zweibrücken 1890. *) Wir citieren diese Abhandlungen im folgenden unter
»A. Greg., A. Theod., A. Enc. und A. Coh.«.
Der Kaiser Julian flicht in seine (7.) Rede »gegen den Kyniker Herakleios über die
kynische Lebensart und über die Frage, ob es dem Kyniker ansteht, Mythen zu dichten«, als
Probe einer mythischen Erzählung p. 294, 25 — 304,7 folgenden Mustermythos^) ein:
»Ein reicher Mann besass viele Schafe und Herden von Rindern und »schweifende
Ziegenherden (Iliad. II 474 XI 678 Od. XIV 101. 103)', ,Stuten aber weideten ihm oft-
mals zehntausend rings in den Auen (lliad. XX 221)', und als Schafhirten [p. 295] hatte
er Sklaven und Freie, die ihm um Lohn dienten. Er hielt Rinderhirten für die Rinder,
Ziegenhirten für die Ziegen und Pferdehirten für die Pferde und gebot über sehr viele Schätze.
Einen grossen Teil hievon hatte ihm sein Vater hinterlassen, noch weit mehr erwarb er
aber selbst hinzu, da er reich werden wollte auf gerechte wie auf ungerechte Weise.
Denn er kümmerte sich^) nicht viel um die Götter. Er halte aber viele Frauen und von
ihnen Söhne und Töchter. Unter diese verteilte er seine Habe und starb darauf, ohne sie
irgendwie in der Vermögensverwaltung unterwiesen oder ihnen gezeigt zu haben, wie man
einen derartigen Besitz, falls er noch nicht vorhanden, erwerben, oder, wenn er vorhanden,
erhalten könne. Denn in seiner Thorheit meinte er, die Menge (der Erben: vgl. u.) sei
hiezu an und für sich schon ausreichend. Er verstand sich nämlich auch selbst nicht
recht auf die hiefür nötige Kunst, da er sich dieselbe nicht durch Studium, sondern mehr
durch eine Art von Gewohnheit und Erfahrung angeeignet hatte, wie dfe schlechten unter
den Aerzten, welche die Menschen nur nach der Erfahrung heilen, weshalb ihnen auch
der grösste Teil der Krankheiten entgeht. So hatte er denn im Glauben, die Menge
seiner Söhne sei ausreichend für die Erhaltung seines Vermögens, nicht dafür Sorge ge-
tragen, dass sie tüchtige Männer würden. Dieser Un.stand aber wurde die erste Veran-
lassung zu ihren gegenseitigen Ungerechtigkeiten. Denn ein jeder strebte wie der Vater
danach, viel und alles allein zu besitzen, und wandte sich so gegen seinen Nächsten.
Eine Zeitlang ging dies nun so. Es hatten aber auch noch die Verwandten, die ebenfalls
keine gute Erziehung besassen, ihren Genuss von dem Unverstände und der Thorheit der
Söhne. Darauf erfiillte sich alles mit Mordthaten, und die tragische Verfluchung wurde
von der Gottheit [p. 296] verwirklicht. Denn das väterliche Erbe zerteilten sie mit
,der Schärfe des Schwertes (Eur. Phoen. 67)', und alles war voll Unordnung. Die von
^) Eine ausfuhrliche Inhaltsangabe desselben giebt Bartenstein, »Zur Beurteilung des Kaisers lulianus«
Progr. Bayreuth 1891 p. 43 ff. Einen Auszug teilt Neander*, »Ueber den Kaiser Julianus etc.« Gotha 1867 p. 59
mit. *) Das hier folgende »auch« streicht Klimek, »Coniectanea in Julianuni eic.« Diss. Vratisl. 1883 p. ly
Ätnas Dr., Jalian und Dion Cbrysostomo«. 1
den Vorfahren erbauten Heiligtümer wurden von den Söhnen niedergerissen, nachdem ihr
Vater sie früher vernachlässigt und der Weihgeschenke beraubt hatte, welche^ von vielen
andern abgesehen, besonders auch von seinen Ahnen gestiftet worden waren. Während
aber die Heiligtümer in den Staub sanken, wurden alte Grabdenkmäler') wieder hergestellt
und neue erbaut, da ihnen der Zufall und das Schicksal voraussagte^ dass sie in nicht zu
langer Zeit viele Grabdenkmäler benötigen würden, weil ihnen eben nicht viel an den
Göttern gelegen wäre.
Wie nun alles auf einmal in Verwirrung geriet und Ehen geschlossen wurden, die keine
Ehen waren, und das Göttliche zugleich mit dem Menschlichen entheiligt wurde, da über-
kam Zeus eine Regung des Mitleides. Er wandte seine Augen auf Helios und sprach:
,,Mein Sohn, der du vor dem Himmel und der Erde unter den Göttern entsprosstest, bist
du noch gewillt, dem anmassenden und frechen Manne seinen Hochmut zu vergelten, dem
Manne, der dich verliess und über sich, sein Geschlecht* und seine Söhne diese so grossen
Leiden gebracht hat? Oder glaubst du, wenn du ihm auch nicht grollst und zürnst und
nicht gegen sein Geschlecht deine Pfeile schärist, dadurch weniger Unheil über ihn zu
bringen, dass dusein Haus verwaisen^) lassest? Wohlan, wir v;ollen die Moiren rufen, ob dem
Manne irgendwie geholfen werden darf." Diese leisteten nun dem Rufe des Zeus sofort Folge.
Und [p. 297] Helios sah, wie wenn er etwas bedächte und bei sich überlegte, starren
Blickes auf Zeus. Da sprach von den Moiren die älteste: „Mein Vater, es hindern es
Hosiotes und Dike. An dir ist es nun, da du uns ja doch einmal geboten hast, ihnen
nachzugeben, auch jene umzustimmen." „Sie sind ja meine Töchter (antwortete Zeus),
und ich darf sie daher fragen. Was sagt ihr also, ihr Hehren?" „Hierüber, erwiderten
sie, unser Vater, hast du selbst zu gebieten. Sieh aber zu, dass unter den Menschen
dieser schlimme Eifer der Gottlosigkeit nicht völlig überhand nimmt." „Auf beides,
antwortete er, will ich achtgeben." Da spannen die Moiren, welche in der Nähe waren,
am Schicksalsfaden alles so, wie es der Vater wünschte.
Zeus aber begann zu Helios: „Dieses Knäblein da — es war mit ihnen (vgl.
o. p. i) verwandt als Neffe jenes reichen Mannes und als Vetter seiner Erben, aber
ganz bei Seite gestossen und vernachlässigt — , dieses Knäblein da ist dein Sohn.
Schwöre mir nun bei meinem und deinem Scepter, ganz besonders fiir dasselbe zu sorgen,
es zu hegen und von der Krankheit (vgl. o.) zu heilen. Du siehst ja, wie es
gleichsam mit Rauch, Schmutz und Russ bedeckt ist, und Gefahr droht, das von dir ihm
eingepflanzte Feuer möchte verlöschen, ,wo du nicht mit Stärke dich gürtest (Uiad. IX
231)'! Ich und die Moiren aber gestatten es dir. Hole es also und sorge für seine Er-
ziehung." Als der König Helios diese Worte hörte, wurde er froh, und er hatte seine
Freude an dem Kinde, da er einen kleinen Funken seines eigenen Wesens in ihm [p. 298]
noch erhalten sah: er zog nun das Knäblein auf und entführte es ,aus Blutstrom und
aus Getümmel und aus der Männermordung (Iliad. XI 164)*. Der Vater Zeus aber gebot
auch der mutterlosen, jungfräulichen Athena, in Gemeinschaft mit Helios das Knäblein
aufzuziehen.
*) »Die Cnpellen auf den Gräbern Jer Märtyrer« fugt Neander a. a. O. p. 59 erläuternd hinzu. *) Die
Ueberseizung Neanders a. a. O. p. 60: »Da sein Haus von dir verlassen ist« giebi keinen rechten Sinn.
Als er aber auferzogen und zum Jüngling herangewachsen war, ,dem erst keimet
der Bart im holdesten Reize der Jugend (Iliad. XXIV 348)*« da erkannte er die Menge
der Uebelthaten^ welche sich bei seinen Verwandten und Vettern zugetragen hatten, und
beinahe hätte er sich angesichts der Grösse der Uebelthaten vor Schrecken in den
Tartaros gestürzt. Da aber hüllten ihn Helios und Pronoia Athena gnädig in Schlummer
und Schlaf und brachten ihn von diesem Vorsatze ab. Als er wieder erwachte, ging er
fort in die Einöde. Dort fand er darauf einen Stein, ruhte ein wenig aus und bedachte
bei sich selbst, wie er der Grösse der so gewaltigen Uebelthaten entrinnen könnte.
Denn zur Zeit schien ihm alles mit Schlechtigkeit erfüllt und nirgends mehr etwas gut
zu sein. Da erschien ihm Hermes — denn er stand auf vertrautem Fusse mit ihm*) —
wie ein gleichaltriger Jüngling, begrüsste ihn freundlich und sprach: „Komm", ich will
dich einen glatteren^) und ebeneren Weg führen, wenn du nur erst diese kleine schiefe
und abschüssige Stelle überschritten hast, wo alle, wie du siehst, straucheln, um [p. 299J
sich dann von hier wieder zurück zu wenden." Der Jüngling machte sich mit grosser
Vorsicht auf und trug bei sich ein Schwert, einen Schild und einen Dolch, sein Haupt
war aber bislang noch unbedeckt. Im Vertrauen auf ihn (Hermes) schritt er nun vor-
wärts auf einem glatten, unversehrten, ganz reinen Wege, welcher voll war von Früchten
und mannigfaltigen und schönen Blumen, die den Göttern lieb sind, und von Epheu-,
Lorbeer- und Myrten- Bäumen. Er führte ihn aber zu einem grossen und hohen Berge
und sprach : „Auf dem Gipfel dieses Berges thront der Vater aller Götter. Gieb nun
achtl Hier ist die grosse Gefahr. Bezeuge ihm mit grösstmöglichster Frömmigkeit
deine Verehrung und bitte ihn um das, was du wünschest. Möchtest du dir aber ja,
mein Sohn, das beste erwählen." Nach diesen Worten verbarg sich Hermes wieder.
Der (Jüngling) aber wollte von Hermes erfahren, was er sich von dem Vater der Götter
erbitten solle, da er ihn aber, wiewohl er ganz nahe bei ihm stand, nicht erblickte, sagte
er: „Der Rat ist zwar unzulänglich, aber dennoch gut. Drum lasst uns auf gut Glück
das beste erflehen, wenn wir auch den Vater der Götter noch nicht deutlich sehen.
Vater Zeus, oder welcher andere Name dir lieb ist, und wie du sonst genannt werden
willst, zeige mir den Weg, der zu dir hinauf führt I Denn besser erscheint mir die Gegend
dort bei dir, wenn ich auf die Schönheit bei dir von dem Glänze an diesen Orten hier
schliessen darf, von welchen wir bisher gekommen sind." Auf dieses Gebet hin befiel
ihn ein Schlummer oder eine Entzückung. Der (Zeus) aber zeigte ihm den Helios selbst.')
Der Jüngling erschrak [p. 300] über die Erscheinung und sagte: ,,Dir, Vater der Götter,
will ich schon all der andern Wohlthaten wegen, besonders aber um dieser willen mich
darbringen und weihen." Er umschlang die Knie des Helios mit seinen Händen und
hielt sich fest an ihm mit der Bitte, ihn zu erretten. Dieser rief nun der Athena und
gebot ihr, ihn zunächst darauf zu prüfen, was er alles für Waffen mit sich gebracht habe.
Als sie aber den Schild und das Schwert samt dem Speere sah, da sagte sie: „Wo
*) »Verwandten Wesens mit ihm« übersetzt Neander a. a. O. p. 60. ') Den Comparativ statt des über-
lieferten Positivs schlägt Klimek a. a. O. p. 14 vor. ') »Den unsichtbaren Gott, dessen Bild der sichtbare am
Himmel« bemerkt hiezu Neander a. a. O. p. 61, der p. 48 mit dem Mustermythos den Anfang der vierten Rede
in Verbindung bringt.
hast du dehn, mein Sohn, das Gorgoneion und den Helm?** Der aber antwortete:
„Selbst diese Waffen hier konnte ich mir nur mit Mühe verschaffen. Half mir doch
niemand, da ich im Hause meiner Verwandten ganz auf die Seite gestossen war (vgl.
o. p. 2)," „Wisse darum, erwiderte der grossmächtige Helios, dass du durchaus
dorthin (in das Haus der Verwandten) zurückkehren musst." Da bat er, ihn nicht wieder
dorthin schicken, sondern dabehalten zu wollen, da er ja später nicht mehr zurückkehren,
sondern unter den dortigen Uebeln zu Grunde gehen werde. Wie er nun in einem fort
weinte, sagte er (Helios) „du bist eben noch jung und noch nicht eingeweiht. Gehe
darum zu den Eurigen, damit du dich einweihen lässt und sicher dort weilen kannst.
Denn du musst von hier fortgehen und alle jene Gottlosigkeiten (vgl. o, p. 2) sühnen
und dabei mich und Athena und die andern Götter zu Hilfe rufen/' Als der Jüngling
dieses vernommen, blieb er in Stillschweigen versunken stehen. Da führte ihn der gross-
mächtige Helios auf eine Warte, oberhalb welcher alles mit Licht erfüllt, während der
darunter liegende Teil voll unermesslichen Nebels war, durch den wie durch Wasser
[p. 301J von dem Glänze des Helios das Licht schwach hindurchschimmerte. „Siehst
du, sprach er, deinen Vetter, den Erben?" „Ich sehe ihn" antwortete er. „Erblickst
du aber auch die Rinderhirten da und die Schafhirten?" Auch diese erklärte der Jüng-
ling wahrzunehmen. „Was für ein Mann scheint dir nun der Erbe zu sein ? Und was
für Leute die Schafhirten und die Rinderhirten?" Da erwiderte der Jüngling: „Der
Mann schläft, glaube ich, die meiste Zeit und lässt sichs in seinem Schhipfwinkel insgeheim
wohl sein, bei den Schafhirten aber sind die ordentlichen in der Minderzahl, während
die grosse Mehrheit schlecht und vertiert ist. Denn sie verzehren und verkaufen die
Schafe und schädigen so zwiefach ihren Herrn. Seine Herden nämlich richten sie zu
Grunde, und wenn sie von vielen nur noch wenige abliefern, sagen sie, sie erhielten keinen
Lohn, und jammern. Und es wäre doch besser, sie verlangten ihren Lohn vollständig,
als die Herde zu Grunde zu richten." „Wenn ich nun, sagte er, dich mit Hilfe der Athena
da im Auftrage des Zeus an Stelle dieses Erben zum Aufseher über all dies einsetze — ?"
Da klammerte sich der Jüngling wieder an ihn und bat inständig, dableiben zu dürfen.
Der aber sprach: „Sei nicht allzu unfolgsam, damit ich nicht so sehr ,dich hasse, als
innig mein Herz dich geliebet (lliad. III 415).' Der Jüngling sagte darauf: „Gross-
mächtigster Helios und Athena, und auch dich selbst, den Zeus, beschwöre ich, bedient
euch meiner, zu welchem Zwecke ihr wollt." Plötzlich erschien nun Hermes wieder und
machte den Jüngling beherzter. Denn nunmehr wähnte er, für seinen Rückweg und das
dortige Leben den richtigen Führer gefunden zu haben. Da sprach Athena: „Merke
auf. Trefflichster, der du von einem trefflichen Vater, [p. 302] von diesem Gotte da, und
von mir entsprossen bist! Diesen Erben erfreuen die besten unter seinen Hirten nicht,
sondern die Schmeichler und die Schlechten haben ihn zu ihrem Sklaven und sich unter-
thänig gemacht. So kommt es, dass er von den Ordentlichen nicht geliebt, von seinen
vermeintlichen Freunden aber in den wichtigsten Dingen geschädigt wird. Sei desshalb
darauf bedacht, dass du nach deiner Rückkunft nicht dem Freunde den Schmeichler vor-
ziehst. Und höre auch eine zweite Mahnung von mir, mein Sohnl Dieser (Erbe) schläft
(vgl. o.) und wird in den meisten Dingen getäuscht. Du aber sei nüchtern und
• 5
wache, damit dich nicht mit der freimütigen Rede des Freundes der Schmeichler unver-
sehens täusche, wie ein Schmied voller Rauch und Kohlenstaub in einem weissen Gewand
und einem mit Bleiweiss geschminkten Gesicht, und du ihm dann eine von deinen Töchtern
zur Frau gebest. Und noch eine dritte Mahnung vernimm von mir: „Achte sehr auf
dich selbst, scheue aber nur uns, und wer von den Männern uns ähnlich ist, sonst aber
niemanden. Du siehst ja, wie diesem einfältigen Menschen die Scheu und die allzu grosse
Schüchternheit geschadet hat/' Da fiel ihr der grossmächtige Helios wieder in die Rede
und sprach: ,,Wenn du dir Freunde erwählt hast, so behandle sie als Freunde und halte
sie nicht für Sklaven und Diener, sondern begegne ihnen frei und möglichst schlicht und
edelmütig und sprich nicht anderes, während du Entgegengesetztes von ihnen denkst.
Du siehst ja, dass auch diesen Erben dies zu Grunde gerichtet hat, die Treulosigkeit
seinen Freunden gegenüber. Liebe deine Unterthanen, wie wir dich. Die Rücksicht auf
uns möge dich bei allem Guten leiten. Denn wir sind deine Wohlthäter, [p. 303] Freunde
und Retter." Als der Jüngling dies gehört hatte, wurde er wieder heiter und zeigte
sich bereitwillig, nunmehr in allem den Göttern zu folgen. „Gehe nun, sagte er (Helios),
und ziehe deines Weges mit guter Hoffnung. Denn wir werden überall mit dir sein, ich,
Athena und Hermes da und mit uns alle Götter im Olymp, im Bereich der Luft und
der Erde und das ganze göttliche Geschlecht allerorten, solange du uns gegenüber fromm, gegen
deine Freunde treu, gegen deine Unterthanen menschenfreundlich bist und ihnen zu ihrem
Besten gebietest und vorangehst. Aber gieb nicht sklavisch deinen oder den Begierden jener
nach. Ziehe nun dahin mit der Rüstung, in welcher du zu uns kamst, nachdem du noch diese
Fackel von mir erhalten, damit dir auch auf der Erde ein grosses Licht strahle und du nichts
von den Gütern hier vermissest. Von Athena aber hier, der schönen, empfange das
Gorgoneion und den Helm. Denn sie besitzt, wie du siehst, viele Gaben und verleiht
sie, an wen sie will. Es wird dir aber auch Hermes einen goldenen Stab schenken.
Gehe nun geschmückt mit dieser Rüstung durch jedes Land, durch jedes Meer und ge-
horche unerschütterlich unsem Gesetzen, und niemand, weder unter den Männern noch
unter den Weibern, weder von den Verwandten, noch von den Fremden, möge dich
bereden, unsere Gebote zu vergessen. Denn wenn du bei ihnen verharrst, wirst du uns
lieb und wert sein, achtbar aber unsern guten Dienern und gefurchtet [p. 304] bei den
schlechten und erbärmliclien Menschen. Wisse aber, dass der Leib dir dieses Dienstes
wegen gegeben worden ist. Denn wir wollen dir das Haus deiner Vorfahren aus Achtung
vor diesen entsühnen. Sei darum eingedenk, dass die Seele, die du hast, unsterblich ist
und von uns stammt, und dass du, wenn du uns folgst, ein Gott sein und unsern Vater
zugleich mit uns erblicken wirst."
Betrachtet man die Komposition dieses Mythos etwas näher, so findet man, dass
der Kaiser sich bei Abfassung desselben genau an die Vorschrift gehalten hat, die er p. 281,8 ff.
seinem Gegner Herakleios mit folgenden Worten giebt: »Diese (Antisthenes, Xenophon und
Piaton) . . . hättest du nachahmen, an Stelle des Herakles den Namen des Perseus oder
Theseus setzen, den antisthenischen Typus aufprägen und an Stelle der prodikeischen Scenerie . . .
eine andere in das Theater einführen sollen.« Er legt nämlich thatsächlich seiner Allegorie
die Dichtung des Prodikos von Herakles am Scheidewege zu Grunde, setzt an Stelle des
Zeussohnes den missachteten Sprössling eines begüterten Geschlechtes und stattet denselben
mit Attributen aus, welche den Helden andrer Heroensagen eigentümlich sind. So wird man, um
zunächst diesen letzten Punkt zu erledigen, an den Perseus-Mythos erinnert, wenn Julian p. 299,2 ff*)
von dem Jünglinge sagt: »er trug bei sich ein Schwert, einen Schild und einen Dolch, sein
Haupt war aber bislang noch unbedeckt«, worauf ihm p. 303,12 ff. Helios zum Abschied zuruft:
»Ziehe nun dahin mit der Rüstung, in welcher du zu uns kamst, nachdem du noch diese Fackel
von mir erhalten . . . von Athena aber . . . empfange das Gorgoneion und den Helm . . .
Es wird dir aber auch Hermes einen goldenen Stab schenken (vgl. p. 300,5 ff)«. Ein Anklang
an die Theseus-Sage dürfte wohl darin zu erkennen sein, dass der Schützling des Zeus in der
Erzählung, zum Jüngling herangereift, das Vaterhaus verlässt, in die Einöde zieht und hier auf
einem Stein ausruht, wo ihm Hermes als Führer für seine schwere Mission erscheint (p. 298,7 ff.).
Der Stein wäre dann eine Nachahmung jenes Felsens, bei welchem Aithra ihren Sohn auf
seine Heldenlaufbahn hinweist. Viel deutlicher sind aber die Spuren einer dritten Sage in dem
julianischen Mythos wahrzunehmen, die der Kaiser auch selbst in unserer Rede p. 285,3 ^^
im Zusammenhang mit der Heraklesallegorie kurz skizziert. Es ist die Sage von der Erziehung
des Dionysos. Von den bei der Geburt dieses Heros obwaltenden Umständen heisst es
hier p. 285,10 ff.: »Wie nun alles auf einmal vom Feuer verzehrt wurde«, und hiemit stimmt
die Schilderung der traurigen Verhältnisse, in welchen der Jüngling des Mustermythos auf-
wächst, fast wörtlich überein (p 296,11 ff : »Wie nun alles auf einmal in Verwirrung geriet«).
Ferner bedient sich Zeus hier wie dort (vgl. p. 298,19 ff. mit p. 285,11 ff.) der Vermittlung
des Hermes zur Rettung seines Lieblings (s. jedoch u. p. 7). Endlich verfällt Dionysos p.
285,16 ff. in Raserei und wird von dieser »Krankheit« durch die Göttermutter erlöst. Auch
unserem Helden haftet p. 297,20 eine »Krankheit« an, von welcher ihn Helios heilen soll, und
p. 298,11 wird er nur durch einen heilsamen Schlaf, den ihm dieser Gott und Pronoia Athena
senden, von dem wahnsinnigen Entschlüsse, sich in den Tartaros zu stürzen, abgebracht.
Wie steht es nun aber mit der Scenerie und dem Typus in der julianischen Allegorie?
Das prodikeische Bild ist hier thatsächlich mit einem andern vertauscht, und zwar, wie im
folgenden gezeigt werden soll, mit demjenigen, welches Dion Chrysostomos in seiner ersten
Rede »über die Königsherrschaft« p. 13,11 ff. als Hintergrund (lir seinen Herakles am Scheide-
weg gewählt hat. Hierin folgte er aber erwiesenermassen^) dem Antisthenes, wobei er zugleich
auch den antisthenischen Charakter in seine Erzählung mit herübernahm. Zwischen dieser und
unserem Mythos finden sich nun, wenn wir von Dion ausgehen, folgende Aehnlichkeiten:
Der Rhetor will zeigen, wie der junge Herakles auf Veranlassung der Götter zum
Herrscher erzogen wird, und beginnt p. 13,11 ff. mit der Angabe, der Heros sei der Sohn des
Zeus'): Julians Held hat nach p. 299 20 diesen ebenfalls zum Vater. Bei Dion p. 14,7 ff.
sorgt Zeus väterlich für die Heranbildung seines Sprösslings. Dieselbe Fürsorge lässt er bei
*) Wir verweisen im folgenden stets auf die Hertlcin'sclicn Seiten- und Zeilenzahlen; das AutTmden der
citierten StelJen in der deutschen Uebersetzung sollen die derselben beigefügten Zahlen erleichtem. -) S. Weber
a. a. O, p. 172; 2}7 ff.; 249 ff. An letztgenannter Stelle vermutet Weber richtig, Julian habe bei der oben p. 5
angeführten Vorschrift an die dioneische Darstellung des Heraklesmythos gedacht. Der unmittelbare Zusammen-
hang des julianischen Mustermythos mit dem Rhetor ist ihm jedoch entgangen. ^) Dies wird von Dion auch in
der zweiten (j». 38,12) und vierten (p. 69,16 ff.) Rede »über die Königsherrschaft« ausgefühn.
dem Kaiser p. 296,11 ff. seinem Schützlinge angedeihen Dion p. 14,15 ff. zufolge erkennt der
Göttervater die gute Natur des Herakles und pflanzt ihm edle Keime ein: Bei Julian p.
297,26 fi. nimmt Helios den guten Kern des von Zeus behüteten Jünglings wahr und erzieht
ihn auf Befehl des höchsten Gottes. Auch die einfache Ausrüstung des julianischen Helden
ist bei Dion p. 13,22 ff. schon teilweise (s. o. p. 6) vorgebildet, der den Herakles nackt
darstellt und ihn nur mit Löwenfell und Keule ausstattet In der dioneischen Erzählung sendet
Zeus p. 14,20 ff. dem jungen Herakles den Hermes zu: Die gleiche Gnade widerfährt dem
Jünglinge in der kaiserlichen Allegorie p. 298,19. Der Götterbote führt den Heros bei Dion
p. 14,23 ff. zunächst auf einem hässlichen, unsichern und für Menschen ungangbaren Pfade an
steilen Abhängen vorbei auf eine hohe, weithin sichtbare Kuppe (p. 14.24) und von da p. 15,2 (f.
auf einem sicheren, breiten Wege p. 15,10 (14,31) zu einer sehr hohen, dem König Zeus ge-
heiligten Spitze (p. 14,31; vgl. p. 15,15;) im reinen Aether (p. 15,12 ff.): Auch Julian lässt p,
298,2^ ff. seinen Helden an der Hand des Hermes zuerst einen krummen, abschüssigen, für
niemand passierbaren und dann p. 298,22 (299,5 ff.) einen glatteren, ebeneren Weg einschlagen,
der zu einem grossen und hohen, von Glanz umgebenen (p. 299,25; 300,22) Berge, dem Sitze
des Vaters der Götter (p. 299,9 ^•)' fuhrt, worauf er an diesen die Bitte richtet, er möge ihm
zeigen, wie er hinauf gelangen könne. Bei dem Rhetor p. 15,32 ist die Zeushöhe mit Früchten
aller Art geschmückt: Derselben Zierde erfreut sich der dahinführende Weg bei dem Kaiser
p. 299,6. Bei jenem p. 16,8 ff. thront auf der Höhe, strahlend wie das Licht des Helios (p.
15,27 ff), Basileia, die Tochter des Zeus (p. 16,9), und an ihrer Seite Dike (p. 16,14): Bei
diesem zeigt der Göttervater p. 299,26 ff. dem Jünglinge auf der Zeushöhe seinen in seinem
Namen über die Weltherrschaft verfügenden (p. 301,15 ff.) Sohn (p. 296,14) Helios, dem eben-
falls die Zeustochter Dike (p. 297,4 ff.) beigesellt ist. Wie Herakles p. 16,6 von frommer
Scheu vor Basileia erfüllt wird, so befällt beim Anblicke des Helios p, 299,27 auch den Helden
Julians ein heiliger Schrecken. Schaut jener p. 16,7 zu Basileia auf wie zu einer Mutter, so
darf dieser seinerseits p. 297,17 ff. den Helios Vater nennen. Dion lässt p. 16,26 ff. den
Herakles unter der Führung des Hermes zu einem Orte gelangen, von wo aus man auf eine
andere, viel tiefer im Nebel und Dunkel gelegene Spitze, auf die nach Typhon benannte Höhe
der Tyrannis*) hinabschauen kann (p. 15,13 ff.): Dem entspricht es, wenn Julians Jüngling
von dem ihm auf der Zeushöhe in der Ekstase erschienenen Helios (p. 299,25 ff.) auf eine
lichtumflossene Worte geführt wird, von wo er in eine Region des dichten Nebels auf die
schlechte Verwaltung seines Familienbesitzes hinuntersieht (p. 300,21 ff). Entscheidet sich
Herakles bei Dion p. 18,18 ff. unter Verwünschung der Tyrannis für Basileia, so bittet der
Schützling des Zeus bei dem Kaiser p. 301,17 ff. angesichts der tief unter ihm auftauchenden
Bilder, oben im Bereiche des Lichtes bleiben zu dürfen. Verleiht endlich Zeus bei dem
Rhetor p. 18,24 (vgl. p. 13,17 ff) dem Herakles, als er seine Entscheidung von Hermes er-
fahren, die W^eltherrschaft, so stellt auch bei Julian p. 303,19 ff. (vgl. p. 301,15 ff.) Helios
seinem Schutzbefohlenen im Auftrage des höchsten Gottes die Herrschaft über alles, wa.«5 er
unter sich erblickt, in Aussicht.
*) Der Gegensatz der Basileia und Tyrannis spielt nicht nur in der bereits oben p. 6 genannten
zweiten (p. 35,22 ff.) und vierten (p. 72,7), sondern auch in der dritten (p. 46,19 ff.; Gi,3 ff.) Rede Dions ȟber die
Königshcrrschaft« eine Rolle. Die zweiundsechzigste führt sogar den Titel »Ucber die Königsherrschaft und die Tyrannis«.
_8
Schon diese Gegenüberstellung würde zu dem Beweise genügen, dass der Kaiser in
seinem Mustermythos Dion nachgeahmt hat. Es sind aber der Beziehungen noch weit mehr;
Der Stammvater der Familie des julianischen Helden wird p. 294,25 ff. als der reiche Eigen-
tümer vieler Herden und als Gebieter über viele Hirten dargestellt, dessen Besitztum durch
die schlechte Wirtschaft seines Erben und der diesem unterstellten Hirten zu Grunde geht
(p. 301,2 ff.; 302,24 ff.). Wir haben also in dieser Allegorie den aus Homer und Piaton be-
kannten Vergleich des Herrschers mit dem Hirten in ausgeführter Form vor uns.
Aber eben dieses Bild kehrt auch bei Dion wieder: In dem der Heraklessage vorhergehenden,
allgemeinen Teil seiner ersten Rede lobt nämlich der Rhetor p. 3,14 ff. den Homer, dass
er nur den einen rechten König nenne, >>der nach Kräften auf sich und seine Unterthanen
achte und in Wahrheit ein Hüter und Hirte der Völker sei*), der nicht schmause und schwelge,
sondern es nicht einmal für erlaubt halte, die ganze Nacht hindurch zu schlafen, da er
keine Müsse habe, sorglos zu sein«. Weiterhin fuhrt er p. 4,20 ff. aus, dass ein gutgearteter
König »für die Menschen sorge, wie ein Hirte für seine Herde«, und endlich zeigt er p. 7,1 ff.,
dass ein König, der sich nicht genügend um seine Beamten kümmere, ein ähnliches Schicksal
zu gewärtigen habe, »wie ein Hirte, der seine Hunde nicht kenne und ihnen weder zu fressen
gebe, noch mit ihnen auf der Hut zusammen wache. Ein solcher ermutige nämlich nicht nur
die wilden Tiere, sondern auch die Hunde, die Herde nicht zu schonen«. Auch diese ein-
zelnen Züge des Hirtenbildes begegnen uns bei Julian wieder, und zwar in dem Zwiegespräch,
das er p. 301,2 ff. auf der Warte der Zeushöhe den Helios mit seinem Pflegebefohlenen fuhren lässt:
„Siehst du deinen Vetter, den Erben?" „Ich sehe ihn". „Erblickst du aber auch die Rinder-
hirten da und die Schafhirten?" „Auch diese." „Was für ein Mensch scheint dir nun der
Erbe zu sein? Und was für Leute die Schafhirten und die Rinderhirten?" „Der Mann schläft,
glaube ich, die meiste Zeit (vgl. p. 302,9 ff.) und lässt sich's in seinem Schlupfwinkel insgeheim
wohl sein, bei den Schafhirten aber sind die ordentlichen in der Minderzahl, während die grosse
Mehrheit schlecht und vertiert ist. Denn sie verzehren und verkaufen die Schafe und
schädigen so zwiefach ihren Herrn. Seine Herden nämlich richten sie zu Grunde, und wenn
sie von vielen nur noch wenige abliefern, sagen sie, sie erhielten keinen Lohn und jammern.
Und es wäre doch besser, sie verlangten ihren Lohn vollständig, als die Herde zu Grunde zu
richten (vgl. p. 302,1 ff.)".
Hiemit ist aber die Uebereinstimmung des Kaisers mit dem Rhetor noch keineswegs
erschöpft: Die ganze Schilderung des schlechten wie des guten Herrschers in dem
julianischen Mythos ist Dion entlehnt. Wir beginnen mit der Kehrseite, wie sie bei diesem
durch die Tyrannis*) nebst ihrer Umgebung, bei jenem durch den Erben und die unter ihm
herrschenden Zustände dargestellt wird. Wer der Tyrannis huldigt,, wird nach Dion p. 16,30
*) Dieses Bild findet sich auch in Dions zweiter (p. 20,20), dritter (p. 46,15 ff.) und viener (p. 72,1 ff.
Rede) »über die Königsherrschaft«. — In dieselbe Sphäre gehört auch der von Dion or. 2 p. J5,$ ff. weit aus-
gcsponnenc Vergleich des guten Königs mit dem Stier (Iliad. 2, 480 ff.), den Julian or. 6 p. 259,21 ff. auf den
kynischen Philosophen anwendet. Vgl. Epiktet. Diatr. I 2,jo III 1,22; 22,6 IV 842; M. Antonin. 11,18; Cicero de
fin. 3,20. — Sollte vielleicht auch das Witzwort, mit welchem die Antiochener den Kaiser ärgerten: »Deine Münze
hat einen Stier und kehrt die Weh um« (s. ».\. Greg.« p. 336), von dem Zusammenhang mit dem Mithraskuh
abgesehen, mit diesem Bilde in Beziehung stehen? *) Ein ausgeführteres Bild von der Tyrannis entwirft Diogenes
in der fünften Rede Dions, in dem »libyschen Mythos«.
zum Morde verleitet und ist erfüllt mit Unverstand (p. 17,1). Auch der verdorbene Erbe bei
Julian und seine Brüder schrecken (p. 295,25 ff.) nicht vor dem Morde zurück und begehen
aus Unverstand die grössten Greuel. Die Tyrannis ist der Schwelgerei ergeben (p. 17,21),
furchtsam, argwöhnisch (p. 17,28) und heuchlerisch (p. 17,12 ff.) Dem entsprechend frönt
der Erbe der Wollust (p. 301,8), ist voll Menschenfurcht (p. 302,17 ff.), ermangelt der Treue
gegen seine Freunde (p. 302,25) und spricht anders, als er denkt (p. 302,23). Der Thron
der Tyrannis sticht lediglich durch seine reiche Pracht hervor (p. 17,13 ff.) und steht (p. 17,17 ff.)
auf einer unsichern Grundlage, da sie lediglich bestrebt ist, ihren Besitz in schimpflicher Weise
zu erhalten (p. 17,30 ff.). Ebenso ist auch bei dem Erben für den Bestand des Besitzes, der
sich bloss durch seine Ausdehnung auszeichnet, nicht hinreichend Vorsorge getroffen (p. 295,9 ff.
18), da der Begründer desselben und dessen Söhne um jeden Preis reich werden wollten
(p. 295,5. 21 ff.). Herrscht in der Umgebung der Tyrannis p. 17,19 ff. keine Ordnung, wie
dies ihre vielen Scepter und Diademe bezeugen, und umstehen sie vielmehr (p. i8»i2 ff.) Omotes,
Hybris und Stasis *), so wird auch bei dem Erben (p. 295,19 ff; 296,2) durch die anfängliche
Vielherrschaft und Zwietracht alles in Unordnung gebracht (p. 295,25 ff.; 296,11 ff; 295,9 ff.)
Wenn wir endlich als schlimmste Gefährtin bei der Tyrannis p. 18,13 ff. die Schmeichelei an-
treffen, so ist auch der Erbe (p. 302,3 ff.), von Schmeichlern umgeben. Er hat auch keine
Freude an den Guten (p. 302,2) und wird von niemand geliebt (p. 302,4 ff.), lauter Eigen-
schaften, die auch seinem Gegenbilde bei Dion eignen (p. 17,25. 27 ff.).
Das Ideal eines Herrschers wird in der Allegorie des Rhetors durch die Gestalt der
Basileia verkörpert, nachdem es in dem vorausgehenden Teile der Rede eingehend geschildert
worden ist. Bei dem Kaiser wird es durch die Lehren veranschaulicht, die der Held des
Mythos von den Göttern, besonders von Helios erhält. Ihren übereinstimmenden Ausführungen
zufolge ist der gute König zwar für alle seine Unterthanen besorgt (J. p. 302,25; 303,9;
D. p. 4,19), Freude und Freunde hat er aber nur an den Besten (J. p. 302,1 ff.; D. p. 4,20;
15,25 ff.), wofür er auch von diesen wieder geliebt wird (J. p. 302,5; D. p. 8,1 ff.; 6,11 ff.).
Er kann sie auch wohl von den Schlechten und Schmeichlern unterscheiden (J. p. 302,6 ff.
10 ff.; D. p. 8,3 ff.). Diesen flösst er Schrecken ein (J. p. 303,25 ff.; D. p. 6yj ff.; 15,25 ff.),
während er jene mit Achtung für sich erfüllt und sich ihnen gegenüber frei, offen und ehrlich
z^*&^ (J- P- 303'7 ff i 302,20 ff.; D. p. 5,23 ff.; 6,16 ff.). Er weiss sich selbst und andere zu
beherrschen (J. p, 303,10 ff.; D. p. 5,14 ff.; 3.30 ff.) und ist ein Muster von Frömmigkeit (J.
p. 302,15 ff.; D. p. 4,12 ff.), indem er darnach trachtet, den Göttern gleich zu werden (J. p.
302,26 ff.; D. p. 8,23 ff.). Dafür eröffnen sich ihm aber auch die schönsten Aussichten auf
dereinstige Belohnungen durch ein besseres Los (J. p. 303,3 ff.; D. p. 10,14 ff).
Diese Zurückführung des julianischen Mustermythos auf Dion erfährt eine indirekte
Bestätigung durch die schon oben (p. 6) erwähnte kurze Ski:^ der Heraklessage, welche
demselben in der siebenten Rede p. 283,23 ff. vorausgeht. Denn es ist mit einleuchtenden
Gründen gezeigt worden*), dass diesem Abrisse ebensowie der dioneischen Darstellung des
Heraklesmythos der antisthenische Charakter aufgeprägt ist. Er enthält lediglich die Grundidee
der Ausführung des Rhetors und stimmt in einigen wesentlichen Einzelheiten mit dieser überein:
*) Andere Dämonen, die den Tyrannen in ihrer Gewall haben, allegorisiert Dion or. 4 p. 78,24 ff.: Es
sind die Genusssucht, die Habgier und die Ruhmsucht. *) S. Weber a. a. O. p. 247 ff.; 238,3.
Im Dl ht,^ JoHmi aad Üion Cbryioitomoi. 2
10
So in der Angabe, Herakles habe im Verkehre mit guten Menschen eine vorzügliche Ausbildung
genossen (J. p. 284,7 ff-; D. p. 13,20; 14,9), er sei in den Krieg gezogen und habe die ganze
Welt überwunden (J. p. 284,8 ff.; D. p. 13,14 ff), er habe sich körperlich angestrengt (J. p. 284,9;
D. p. 14,15 ff.), und es sei ihm nichts unmöglich gewesen (J. p. 284,18 ff.; D. p. 14,6 ff.). Nun lässt
sich aber auch zwischen dem Mustermythos und dieser Skizze ein unmittelbarer
Zusammenhangt) nachweisen: An beiden Orten (p. 284,5 ff. ""^ P. 297,14; 298,2. 6)
tritt der Held zuerst als »Knäblein« auf. Hier wird p. 284,3 g^^z allgemein seine über-
menschliche Natur betont, welche auf der »schaffenden und thätigen Kraft des unbefleckten und
reinen Geistes (p. 284,21 ff.)« beruht. Denn die Seele des Herakles ist, (wie es auch in der
fünften julianischen Rede »auf die Mutter der Götter« p. 216,8 ff. heisst) »unbefleckt und rein
von dem Weltschöpfer ausgesendet worden und wieder ganz zu dem Vater zurückgekehrt«.
Wenn man es dort p. 297,17 ff. mit einem Sprossen des Helios zu thun hat, der einen »göttlichen
Funken« von diesem (p. 297,26 ff.) in sich bewahrt, so kann man diese Ausstrahlung des
Sonnengottes getrost in der Seele des Herakles wieder erkennen. In beiden Darstellungen
(p. 284,23 ff. und p. 298,5 ff. 12 ff.) wird dem Lieblinge der Götter von Zeus die »vollkommen
aus ihm gezeugte« bezw. »mutterlose« Pronoia Athena als Hüterin bestellt; hier wie dort (p.
284,15 und p. 298,15) kommt er auf seinem Lebenswege u. a. auch in die »Einsamkeit« und
ist erhaben über die »Not des Lebens« (p. 284,13 ff. und p. 303,15). Er überwindet alles auf
der ganzen Welt (p. 284,8 ff. und p. 303,21 ff.) und wird, nachdem er in körperlicher Dienst-
arbeit (p. 284,9 [vgl. or. 5 p. 216,12 ff.] und p. 304,1 ff.) sein Leben zugebracht, zu Zeus
entrückt (p. 284,25 [vgl. or. 5 p. 216.13 ff J ""^ P. 304»^). In dem Abriss geschieht dies
p, 284,20, indem der Göttervater durch das Feuer des Blitzes unter dem göttlichen Zeichen
des ätherischen Lichtstrahls seinen Sohn zu sich beruft, während in dem Mustermythos die
Vergöttlichung des Helden durch den ihm von Zeus gezeigten Gott Helios (p. 299,26 ff.)
d. h. durch die Personification jenes Feuerzeichens angebahnt wird.
Ist somit gezeigt worden, dass der julianische Abriss der Heraklessage als eine von
aller Scenerie losgelöste — allerdings neuplatonisch verbrämte (s. p. 281,18 ff.; 288,3 ff'
s. u p. 18) — Inhaltsangabe sowohl der dioneischen Allegorie, als des kaiserlichen Muster-
mythos angesehen werden kann, so wird dadurch auch die Abhängigkeit dieses letzteren von
dem Rhetor indirekt bestätigt*).
*) Der Mustermythos enthält auch sonst noch manche Einzelheiten, die in dem ihm vorausgehenden Teile
der siebenten Rede schon angedeutet sind: So ist z. B. die Scene p. 500,21 ff., wo der Held von der Warte der
Zeushöhe auf das schlechte Thun und Treiben unter ihm hinabschaut, mit dem Bild des Kynikers p. 295,5 ff. zu ver-
gleichen, der »hoch herab von des Olynipos Höhen auf die andern herniedersieht, welche sich auf der Wiese der Ate
im Dunkel herumtreiben«. '^) Hiemit erledigt sich auch die Auffassung Schultzens als eine irrige, der
in seinem Buche »Geschichte des Untergangs des griechisch-römischen Heidentums«, i. Jena 1887 p. 126 betreffs
des Mustermythos sagt: »Hs scheinen hier alttestamentliche Geschichten aus der christlichen Jugenderziehung Julians
nachzuklingen, die Rettung Mosis und sein geheimnisvoller Umgang mit Gott, oder die Berufung Davids zum König
von Israel wider Saul und sein entartetes Haus«. Hiezu hatte schon Largajolli, »Nuovi studi intomo a Giultano
imperatore« (Rivista di filologia 17. 1889) p. 347 passend bemerkt: »Forse il solo suo esaliamento religioso di
sofista coronato basterebbe, credo, a spiegnrci il fatto«. Im allgemeinen ist Wyttenbach's Urteil richtig, der
»Animadv.« a a. O. p. 197 sagt: »nullum vestigium in Juliani scriptis exstat, quo appareat, eum Oratorium colorem e
sacris Christianorum vel Judaeorum Hbris duxis!>e; contra etiam, dedita opera illud fugisse videtur«.
IT
Ehe wir uns nach weiteren Beweisen für dieses Abhängigkeitsverhältnis umsehen, sei
hier noch kurz bemerkt, dass der dem Mustermythos vorausgehende Teil der siebenten %/de
Julians noch manche Stellen enthält, die an Dion erinnern. So sagt der Kaiser in der von
ihm p. 265,23 sogenannten »Genealogie des Mythos^)« p. 266,11 ff., derselbe sei eine Erfindung
von Hirten, wozu auch die bukolische Einkleidung des Mustermythos vortrefflich passt. Dies
klingt insofern an den Rhetor an, als dieser or. i p. 11,13 behauptet, er verdanke seine Herakles-
sage einer Hirtenfrau (vgl. p. 12,10 ff.), welche ihn (p. 13,3 ff.) ermahnt habe, er solle sie nur
ungescheut vortragen, da sie eine göttliche Dichtung sei, wie ja auch schon »ein anderer
Hirte auf einem Berge Boeotiens seine Poesien von den Musen selbst empfangen habe«. Nicht
minder scheint es eine Anlehnung an Dion zu sein, wenn Julian p. 265,6 es dem gottlosen
Vortrag des Herakleios gegenüber für seine Pflicht erklärt, »sein Ohr rein zu bewahren«, da
bei dem Rhetor or. 2 p. 32,5 ff. sicli eine längere Ausführung findet, worin ganz dasselbe
von dem wahren Herrscher verlangt wird. Wir werden auf diesen Passus später noch einmal
zurückkommen. Schliesslich dürfte eine Entlehnung aus Dion auch in dem lückenhaft
überlieferten Gedanken zu erblicken sein (p. 267,9 ^•)» ^«^^^ ^^^ ^^^ ^^^ Gottheit geistig
noch nicht befreiten Menschen der »Meinung« statt dem Wissen anhängen und mit ihr
die Mythen, »diese in der Luft schwebenden und monströsen Schattenbilder des wahren Wissens,
erzeugen, worin sie dem [Ixion] gleichen, welcher der Sage zufolge anstatt bei der Göttin,
bei [einer Wolke] ruhte«. Denn in der vierten Rede des Rhetors-) wird p. 88,18 (vgl. p. 87,2 ff.)
der Ruhmsüchtige, weil er an der »Meinung« der andern hängt, ebenfalls mit Ixion verglichen,
der mit der Wolke die Kentauren erzeugte^).
Aber auch die Deutung des Mustermythos*) bestätigt unsere bisherigen Aus-
führungen, indem wir durch sie mit zwingender Gewalt ebenfalls zu Dion zurückgeführt werden:
*) Vergl. betreffs dieser Frage auch Jul. or. $ p. 220,11 ff. mit Dion or. 5 p. 90,15 ff.; 9«. 2 ff. ') Ueber
das von Hertlein (z. Jul. or. or. 7 p. 275,16 ff.) und Weber a. a. O. p. 98,2 unbedenklich, von Prächter a. a. O. p. 43
mit Vorbehalt auf Diuns vierte Rede (p. 65,27 ff.) bezogene Dioncitat in Julians siebenter Rede p. 275,16 ff. s. u. p,
2j»5. ^) Schon Wyttenbach, »Epist. crit.« a. a. O. p. 240 vergleicht die beiden Stellen miteinander.
*) Wir beschränken uns im folgenden auf den historisch-politischen Inhalt der julianischeii Allegorie, indem wir
es einer anderen Gelegenheit vorbehalten, die philosophisch-theologische Seite derselben zu beleuchten. Denn von
der bisherigen Forschung ist der Mustermythos auffallender Weise in dieser Hinsicht so gut wie gar nicht ausge-
nützt worden, nicht einmal von Rode in seiner vortrefflichen »Geschichte der Reaction Kaiser Julians etc.« Jena 1877
(vgl. p. 7 ff.). Das Hauptinteresse bei einer solchen Untersuchung wir»i sich — soviel sei schon jetzt bemerkt —
dem religiös-polemischen Charakter des Mythos zuv,*enden müssen: Sie wird zu zeigen haben, wie bei dem letzten
überzeugten Vertreter des »göttlichen« Caesarentums das objektive Anrecht auf die Apotheose sich zu der subjektiven
Ucberzeugung von der »göttlichen« Mission des Herrschers (vgl. u. a. Neander a. a. U. p. 67; Scheler, »De
Juliani Aposlaiae ea vitae parte, quae praecessit imperium« Diss. Erlang. 1839 p. 33 ff^.; Strauss, »Der Romantiker
auf dem Throne der Caesaren« Mannheim 1847 p. 41; Krainz, »Flavius Claudius Julianus als Caesar« Progr.
Triest 1875 p. 25; Kellerbauer, »Kaiser Julians Regierung« Progr. Kempten 1876 p. loAnm.; Hasen clever,
»Die letzte Reaktion der antiken Welt unter Julian dem Abtrünnigen« in »Aus Geschichte und Kunbt des Christen-
tums« I Braunschweig 1890 p. 40; Bartenstein a. a. O. p. 45) umbildete^ wie sich bei dt^m kaiserlichen Pontifex
Maximus Kynismus und Neuplatonismus vereinigten, um aus dem fruchtbaren Boden dieser Ueberzeugung im Streit
mit dem »götterlosen« Christentum einen ganz eigenartigen Weltheiland- und Erlöser-Begriff hervorwachsen zu
lassen (s. Mustermythos p. 297,20; 303,3 ff".), den er dann in seiner eigenen Herrscherpersönlichkeit zu verkörpern
und zu bethätigen suchte. Vgl. »A. Enc«; o. p. 10,1; u. p. 22; 28,4; 31 ff. Es wird auch mit aller Vorsicht zu prüfen
sein, ob und wie weit sich der gekrönte Theologe bei der Ausmalung seines Selbstportraits als Herrscher »von
12
Mit dem reichen Herdenbesitzer ist Konstantinus, mit den verderbten Nach-
kommen seineSöhne, mit dem Erben Konstantius und mit dem missachteten
Verwandten Julian selbst gemeint^). Wir haben somit in dem M3rthos eine
historisch- politische Satire vor uns, in welcher gezeigt werden soll, wie der Kaiser Julian
als ein zweiter Herakles*) durch die Gnade der Götter zum Herrscher erzogen wird
und es als solcher für seine göttliche Mission hält, die Herrschaft über die Welt aus einer den
Göttern entfremdeten (vgl. or. 5 p. 232,26 ff.) zu einer ihnen wohlgefälligen Idealherrschaft
umzugestalten'). Der Basileia bei Dion sind mithin die Züge zu dem Bilde des julianischen
Herrscherideals entnommen^ während zu der Schilderung der schlechten Herrschaft seiner
Vorgänger, speciell des Konstantius, die Tyrannis das Muster abg^eben hat.
Nun besitzen wir aber von Julian aus der Zeit, als er noch Caesar war, noch eine
Rede »über die Thatcn des Kaisers oder über die Königsherrschaft*)« (or, 2), den :(weiUn
Panegyrikos auf Konstantius, worin dieser in überschwänglicher Weise verherrlicht wird. Hier
heisst es p. 111,8 ff. in einer allgemeinen Abhandlung über die Eigenschaften des wahren
Königs^): »Als Freund der Bürger und der Soldaten sorgt er (ur jene, wie ein Hirte für
seine Herden, indem er darauf bedacht ist, dass sein Vieh im ungestörten Vollgenusse
reichlichen Futters gedeiht und kräftig wird; diese aber überwacht er und hält sie zu-
sammen, indem er sie in Tapferkeit, Stärke und Sanftmut übt, wie gute und edle Hunde
als Wächter der Herde. Denn er erblickt in ihnen die Mitarbeiter bei seinen Thaten
und die Helfer für das Wohl des Volkes, nicht aber eine Rotte von Räubern und Ver-
derbern der Herden wie die Wölfe und die schlechtesten unter den Hunden, welche.
der Götter Gnaden« in polemisch-propagandistischer Absicht mit der christlichen Dogmatik, besonders mit der
Christologie, berührt. Vgl. u. p. 28,4; van Herwerden, »De Juliano imperatore religionis Christianae hoste etc.«
Lugd. Bat. 1827 p. 127 ff.; Neander a. a. O. p. 67; Strauss a. a. O. p. 25 ff.; 63,28. Hiebei werden namentlich
die mjthologischen Gestalten des Herakles, Dionysos (s. u. p. 25 ff.) und Asklepios und ihre theologische Verwertung
bei Julian zu beachten sein, und es wird sich herausstellen, warum gerade diese bei den Kirchenvätern in der Kritik
der hellenischen Mythen eine so hervorragende Rolle spielen. Ueber Herakles vgl. »A. Greg.« p. 329 ff.; über
Asklepios »A. Theod.« p. 131 ff. und Lösche, Zeitschrift für wissensch. Theol. 27 (1884).
^) Bezüglich der Zustande nach dem Tode Konstantins ist es besonders interessant, Julians »Brief an den
Rat und das Volk der Athener« mit dem Mustermythos zu vergleichen: vgl. Musterm. 295,25 ff. mit epist. ad
Ath. p. 348,29 ff. 351,17 ff. 562,7 ff. *) Prudentius 5456 ff. sagt von dem Kaiser: »Er warf sich vor Herkules in
den Staub«. Vgl. Bartenstein a. a. O. p. 9 ff. — Vielleicht denkt Gregorios Naz. inv. i in Jul. col. 657 C ff.
(T. 35 bei Migne) in seiner Polemik gegen die hellenischen Mythen an den Mustermythos, wenn er Julian zuruft:
»Und du wirst eitle Reden fuhren und dein Missgeschick und deine Visionen allegorisch darstellen«. — Es mag
hier erwähnt werden, dass Julian in seiner »Lobrede auf die Kaiserin Eusebia (3)« p. 156,23 ff, beim Lob des
Vaterlandes der Gefeierten die Besiedelung Makedoniens durch die Herakliden betont und die Abstammung des
Alexander von diesen hervorhebt (p. 137,18 ff.), ein genealogischer Versuch, der auch von Dion or. 2 p. 38,11 ff.;
or. 4 p. 76,30 ff; 77,11 ff gemacht wird. S. u. p. 22 ff. ') »Diese Ueberzeugung von seiner »höheren Mission'
hat Julian nie mehr verlassen . . . und ist als das Hauptmotiv seines religiösen Reform Versuches anzusehen« bemerkt
treffend Kellerbaiier a. a. O. p. 10 Anm. unter Hinweis auf den Mustermythos. *) So ist der Titel wiederzugeben
und nicht: »auf Konstantius und Basileia«, wie Christ*, »Geschichte der griechischen Litteratur« p. 676 dies ihut;
denn von einer Personifikation des Begriffs der Königsherrschaft ist bei Julian keine Rede. — Wenn Mücke,
»Flavius Claudius Julianus« II Gotha 1868 p. 160 ff. und Bartenstein a. a. O. p. 39 behaupten, die zweite Rede sei
im wesentlichen nur eine Umarbeitung und weitere Ausführung der ersten, so ist dies schon deswegen un-
richtig, weil sich in dieser eine unmittelbare Benützung Dions nicht nachweisen lässt. *) Vgl. u. p. 14.
13
ihrer Natur und ihrer naturgemässen Nahrung vergessend, auf einmal, anstatt Retter und Verteidiger
zu sein, zu Verderbern werden«. Weiterhin sagt Julian p. 113,2 ff. von der Fürsorge des Königs für die
Soldaten: »Er muss aber auch nicht minder darauf achten, dass sie ihren Lebensunterhalt
bekommen und nicht an dem Nötigen Mangel leiden. Denn oft werden die treusten
Wächter und Hüter der Herden durch Not zur Wildheit gezwungen, gegen die Hirten
und bellen sie an, wenn sie sie nur von weitem erblicken, und schonen nicht einmal die
Herden«. Wir begegnen also hier demselben Vergleich des Herrschers mit dem Hirten, der in
dem Mustermythos durchgeführt wird und, wie wir gezeigt haben (s. o. p. 8), in seinen auch
hier wiederkehrenden Einzelheiten auf Dion zurückgeht. Unzweifelhaft sind demnach auch
diese Stellen der zweiten Rede Julians mit der ersten dioneischen (p. 4,20 ff.; 7,2 flf.) in Zu-
sammenhang zu bringen^). Denn diese ist ja gleichfalls eine Lobrede auf einen Fürsten
(s. p. 2,25 fT. ; 8,20 fif.), fiir welchen auch die in ihr enthaltene Herakles- Allegorie bestimmt
ist (s. p. 12,23 fi^.i I3i8 ff'), und beide Declamationen behandeln ganz dasselbe Thema »von der
Königsherrschaft« (s. u. p. 23).
Der Kaiser verrät p. 71,20 ff, sogar selbst seine Quelle wider Willen, wenn er von
dem »Tyrannen« (s. p. 73,17; 74,1. 5; 78,20; 79,16 flf.; 95,10; 123,5; vgl. or. i p. 32,8 fT.;
37,14; 38,16; 43,8; 60,7) Magnentius sagt: »Er ging aber selbst voran, nicht wie
Typhon*), welchen der dichterischen Wundererzählung zufolge die Erde aus Groll gegen
Zeus gebar, auch nicht wie der gewaltigste von den Giganten — or. i p. 35,5 flf,
wird Magnentius mit den Aloaden verglichen — sondern so, wie der in Mythen weise
Prodikos die Schlechtigkeit darstellt, wie sie mit der Tugend streitet und den Sohn des
Zeus überzeugen will, dass er sie vor allem am meisten hochschätzen müsse«. Denn
wenn hier die Sagen von Typhon und Herakles am Scheidewege mit einander in eine
so enge, wenn auch gegensätzliche, Beziehung gesetzt werden, so erinnert man sich,
dass dies gerade auf die dioneische Darstellung des prodikeischen Heraklesmythos zutrifft, wo
p. 14,32 ff. die Tyrannis als Stellvertreterin des Lasters auf der nach Typhon benannten Höhe
thront, wogegen Basileia an Stelle der Tugend auf der Zeushöhe ihren Sitz aufgeschlagen
hat. Der Kaiser scheint daher hier gerade durch den Rhetor an die Typhonsage erinnert
worden zu sein; er lässt es jedoch bei dieser blossen Erinnerung bewenden, da ihm wahr-
scheinlich die Gestalt des Typhon für seinen »Tyrannen« zu imponierend vorkam. So citiert
er denn die Originalform des prodikeischen Herqklesmythos, verwendet ihn aber, offenbar
durch die bei Dion vorliegende antisthenische Umformung veranlasst, dem Zweck seiner Rede
entsprechend in einem rein politischen Sinne. Die Abweisung des Vergleichs mit Typhon
fallt hiebei umsoweniger ins Gewicht, als der Sohn der Erde bei dem Rhetor, abgesehen von
der Belegung der Tyrannishöhe mit seinem Namen, überhaupt keine Rolle spielt. Nicht
weniger lässt Julian seine Quelle durchblicken, wenn er p. 109,18 von der »Tyrannis« als dem
grössten und gefährlichsten unter den Dämonen spricht und sie das höchste Ziel derjenigen
nennt, welche Sklaven ihrer Begierden und desshalb zum wahren Herrscherberufe untauglich
*) Da Frachter diesen Zusammenhang nicht kennt, möchte er a. a. O. p. 49 auf die Uebereinstimmung
von Jul. or. 2 p. 111,9 ff, mit Dion or. i p. 4,20 ff. »kein grosses Gewicht legen«. *) Ucber die Typhonsage
vgl. u.a. V. Wilamowitz-Moellendorff, »Euripides Herakles« 2 Berlin 1889 p. 269 ff; 285 ff.; Weber a. a. O. p. 249.
14
sind. Denn bei Dion wird p. 16,9 Basileia »der glückselige Dämon« und p. 18,20 »eine wirkliche
Göttin« genannt, während ihr Widerspiel nichts als tadelnde Epitheta erhält^). Schliesslich
wird man auch durch die einleitende Bemerkung des Kaisers p. 63.16, Konstantins, auf welchen
die in dem Panegyrikos enthaltene ideale Schilderung des »trefflichen, königlichen und hoch-
sinnigen Mannes (s. p 110,8 ff.)« sich bezieht, besitze »die homerische Bildung*)«», an den Rhetor
erinnert, da dieser in dem allgemeinen Teile der ersten Rede p. 4,7 ff. seine Abhandlung
»über die Sitten und den Charakter des g^uten Königs (s. p. 3,9 ff.)«') als eine solche »über
den wahren König nach dem Sinne Homers« bezeichnet. Dion wendet hier auch gleich zu
Anfang p. 3,25 ff. das homerische Bild vom Völkerhirten an, das, wie wir o. p. 8 gesehen
haben, sowohl weiterhin von ihm selbst als auch von Julian in jener allgemeinen Ausfuhrung
des zweiten Panegyrikos über den guten Herrscher (s. o. p. 12) und in dem Mustermythos
in übereinstimmender Weise gebraucht wird.
Wenn es somit keinem Zweifel unterliegen kann, dass der Kaiser in diesen beiden
Schriften von Dion abhängig ist, so bleibt nun nur noch das zwischen Julians Muster*
mythos, seinem zweitenPanegyrikos undDions ersterRede obwaltende
Verhältnis genauer zu bestimmen; Die dioneische Rede zerfällt, wie schon o. p. 8 ff. gesagt,
in einen allgemeinen und einen besonderen Teil, welch letzterer durch den Heraklesmythos
gebildet wird und lediglich eine allegorische Rekapitulation des ersteren darstellt. Der erste
Teil besteht wiederum aus einer kurzen Einleitung und der bereits oben erwähnten ziemlich
selbständigen Abhandlung »über die Sitten und den Charakter des guten Königs (p. 3,9 —
8,19)«, an welche sich noch eine Erörterung »über den grössten und ersten König« und die
Nachahmung desselben vonseiten der sterblichen Herrscher (p. 8,19 — 11,9) anschliesst. Den
beiden letztgenannten Abschnitten entspricht nun in der zweiten Lobrede Julians, wie man,
von vielen anderen Uebereinstimmungen*) abgesehen, an dem Bilde vom Hirten p. ni,8 ff.;
113,2 ff. sehen kann, die schart und deutlich abgegrenzte Schilderung des »trefflichen, könig-
lichen und hocbsinnigen Mannes (p. 110,8 — 118,18; s. o )«k, und diese folgt unmittelbar
auf die nicht minder klar hervortretende Darstellung des schlechten Herrschers (p. 101,3 —
*) Hicniit ist jedoch keineswegs ausgeschlossen, dass der Kaiser, der hierin den Kynikern verwandt, ein
guter Euripidesk cnner war {s. auch Weber a. a. O. p. 100; 115,1', a. a. O. nicht zugleich auch gleichzeitig
Kuripides Phoen. v. 506 vor Augen gehabt haben kann, wo die Tyrannis »die grösste unter den Göttinnen« ge-
nannt wird. Vgl. V. Wilaniowitz-Moellcndorff a. a. O. i p. 202 Anm. *) Diese wird von Dion auch or. 2 (bes.
p. 29,21 ff.; 51,29 ff.; 54,28 ff.; 56,15 ff.) behandelt. Für Julians Ansicht über diesen Punkt vgl. »A. Enc.« S. auch
Scheler n a. O. p. 16. ') Eine solche findet sich auch in or. 2 p. 45,9 ff. *) Solche weist Prächter n. a. O. p.
49 ff. nach Bei der Zurückführung der sokratischen Auffassung der Glückseligkeit p. 101,2 ff. auf Dions dritte
Rede p. 44,5 ff. ist ihm entgangen, dass diese Ausführungen mit ihrer echt kynischen Behandlung des athenischen
Philosophen einerseits und des Perserkönigs (vgl. or. i p. 54,18 ff.; 55,5 ff.) andrerseits an eine ähnliche Erörterung
desselben Themas bei Themistios »über die Tugend« (Rhein. Mus. N. F. 27 p. 451 ff.) erinnern, mit welcher
schon Bücheier Dion or 5 p. 58,20 ff- verglichen hat. Vgl. u p. 27 ff. — Zum Beweise, dass der Kaiser hier
wirklich den Rhetor ausschreibt — auch der Vergleich des Tyrannen mit Poseidon Jul. or. 2 p. 70,10 ff. isi sicher
nur eine Ausführung der Parallele zwischen Xerxes und dem Meeresgott bei Dion or. 5 p. 44,16 ff. — , könnte auch
noch angeführt werden, dass die Worte Julians or. 2 p. 101,21 ff: »Es schliesst sich aber seinem Urteil die Ge-
meinde der weisen Männer an« offenbar nur eine Umschreibung von Dion or. 3 p. 46,25 ff. sind: »Aehnliches aber
haben über das Regieren und die Königsherrschaft seine Nachfolger gesagt, mit möglichst engem Anschlüsse an
seine weise Meinung (vgl. J. p. 118,18 ff.)«.
IS
110,3) "^ welcher, wie die oben p. 13 genannte Stelle von der »Tyrannis (p. 109,18 ff.)« beweist,
u. a. auch der Mythos bei Dion benützt ist. Aus diesem wurde aber der die »Tyrannis« be-
handelnde Teil von dem Kaiser, wie der Vergleich mit Typhon (p. 71,20 ff.; s. o. p. 13) zeigt,
auch noch für die Charakteristik des Usurpators Magnentius (p. 70,7 ff.) herangezogen. Man
sieht, Julian macht in dem Panegyrikos gerade den entgegengesetzten Gebrauch von Dions
Rede wie in dem Mustermythos. Hier wird alles Lob, das dort dem Konstantius als dem
Ideale eines Herrschers gespendet wurde, in Tadel verkehrt und von diesem Fürsten mit den
Farben Dions das Bild eines »Tyrannen« entworfen, während Julian sich selbst im Lichtglanz
der dioneischen Basileia sonnt. Der kaiserliche Mythos steht somit in demselben Verhältnis
zu der Lobrede auf Konstantius, wie der dioneische Mythos zu dem allgemeinen Teil der
ersten Rede, in welcher er enthalten ist. Auch er stellt bloss die Versinnbildlichung derselben
Ansichten über Basileia und Tyrannis dar ; nur ist der frühere Vertreter der Basileia, Konstantius,
zum Repräsentanten der Tyrannis geworden, so dass Julian das Wesentliche von dem, was
er in der zweiten Rede übereinstimmend mit der ersten dioneischen von dieser ausgesagt hatte,
in dem Mustermythos zur Charakteristik desselben Konstantius verwendet (Dion p. 16,30 =
Panegyrikos p. 70,8 [74,7 ff.] = Mythos p. 295,25 ff.; D. p. 17,1 = P. p. 72,2 [107,22 ff.] =
M. p. 295.25; D. p. 17,21 = P. p. 71,17 [p. 108,7 ff".! = M. P. 3oi»B; D. p. 17,28 = P. p.
78,20 == M. p. 302,17 ff.; D. p. 18,6 = P. p. 70,7 [79,2 ff.] = M. p. 302,25; D. p 17,17.
30 ff. = P. p. 72,3 ff. [ioi,s; 107,6; 120,2 ff. 108,26 ff.] = M. p. 295,9 ff. 18; 5,21 ff. etc. etc.)»).
In dieser bewussten Parodierung des Panegyrikos durch den Mustermythos liegt der
beissendste Hohn auf den von Julian bitter gehassten Kaiser Konstantius*). Dass der Muster-
mythos eine politische Satire gegen Konstantin und seinen Nachfolger ist, konnte selbstver-
ständlich keinem von den Zuhörern entgehen, vor welchen Julian seine siebente Rede hielt.
Es befanden sich darunter aber auch solche, die dem Kaiser nahe standen und eine gute
litterarische Bildung besassen. Zu diesen gehörte in erster 'Linie sein Freund Sallustius.
Er nennt ihn p. 289,6 ausdrücklich unter den Anwesenden, und zwar als eine Autorität, vor
welcher es Herakleios am allerwenigsten hätte wagen dürfen, einen schlechten moralischen
Mythos vorzutragen. An ihn ist die mythisch- allegorische Rede auf den »König Helios (4)«
gerichtet, ihm ist, wie der Titel zeigt, die »Trostrede an sich selbst anlässlich des Wegganges des
trefflichen Sallustius (8)« zugeeignet, und an ihn hatte Julian auch (nach or. 4 p. 204,7) ^^^
verlorenen »Kronia^)« gesandt, die ohne Zweifel viel Mythologisches enthielten. Er war nach
der eigenen Angabe des Kaisers (or. 8 p. 326,22 ff.) ein rhetorisch und philosophisch wohl-
*) Da wir schon oben p. 9 ff. die Uebereinstimmung des Musterraythos mit Dion sowohl bezüglich der
Darstellung der Basileia wieder Tyrannis nachgewiesen und die Zahl der von Frachter beigebrachten Belege für
die Beziehungen zwischen Julians Panegyrikos und der ersten Rede des Rhetors noch vermehrt haben, so halten
wir es für überflüssig, hier noch einmal alle Uebereinstimmungen zwischen den drei Werken im einzelnen zusammen-
zustellen. *) Man vergleiche auch die Stellen des ersten Panegyrikos über die Eintracht des Konstantius und seiner
Brüder p. 20,3 ff.; 22,2 ff.; 23,2 ff.; 24.8 ff; 41,8 ff.; 51,77 mit der Schilderung im Mustermythos. Ueber Julians
Beurteilung seines Vorgängers handeh u. a. Hecker, »Zur Geschichte des Kaisers Julianus« Progr. Kreuznach 1886
p. 5 ff. und Bartenstein a. a. O. p. 59 ff. ') S. Schwarz, »De Juliani imperatoris vita et scriptis«, Diss. Bonn
1888 p. 19 ff. Vgl. u. p. 28,4.
\6
geschulter Mann, und er gilt nach allgemeiner Annahme^) (iir den Verfasser der Schrift »Ueber
die Götter und die Welt», eines »Manifestes des neuplatonischen Glaubens«, welches in seinem
dritten und vierten Kapitel die Mythen in der eingehendsten und mit Julian vielfach auffällig
übereinstimmenden Weise*) behandelt. Sallustius hatte t\n gut Teil der durch Konstantins
verursachten gallischen Leidensgeschichte des Caesars mit erlebt, bis ihn der Befehl des
Imperators gegen seinen Willen von der Seite des geliebten Freundes trennte (s. or. 8). Bei
seinen engen Beziehungen zu diesem') war ihm sicher der zweite Panegyrikos wohlbekannt;
bei seiner anerkannten rhetorisch-philosophischen Bildung wusste er wohl auch, dass Dions
erste Rede in diesem benützt wurde und die darin vorkommende Heraklesallegorie die Vorlage
für den Mustermythos bildete. Besass Sallustius aber, woran wir nicht wohl zweifeln können,
eine genaue Einsicht in diese Beziehungen, dann musste gerade ihm die scharfe Spitze, die in
Julians Selbstparodierung lag, verständlich sein und ihm einen mit Genugthuung gepaarten
ästhetischen Genuss bereiten. Derselbe war sogar noch einer Steigerung fähig, wenn sich
der Freund des Kaisers erinnerte, dass ja das Original des Mustermythos von Dion zur Ver-
herrlichung eines Fürsten gedichtet war (s. o. p. 13; u. p. 23), während nun die Kopie zur
Brandmarkung eines solchen verwendet wurde. Muss man nicht glauben, dass auch der eitle
Verfasser des Mustermythos erst dann eine rechte Freude an diesem seinem Werke empfand,
wenn er die darin verborgenen Pointen wenigstens von einem seiner Zuhörer alle und voll-
ständig verstanden wusste?
Dass er dies von Sallustius voraussetzen durfte, ist nach dem oben Gesagten schon
an und für sich anzunehmen. Es scheint aber dafür auch noch ein besonderer Umstand zu
sprechen, derauf die schon genannte Trostschri ft desKaisers ein ganz eigentümliches
Licht wirft. Diese weist nämlich eine auffallende Aehnlichkeit mit der dreizehnten Rede Dions
»über die Verbannung« auf. Auch der Rhetor sucht sich hier zu trösten, und zwar über seine
Verbannung, die wegen seiner Ereundschaft mit einem dem Herrscherhause nahestehenden
Manne über ihn verhängt wurde (p. 240,18 ff.). Dieser sei hingerichtet worden, während er
selbst der »Tyrannensitte«, ihren Opfern noch weitere ohne jede Ursache zuzugesellen, zum
Opfer gefallen sei. Mit dem Tyrannen ist der Kaiser Domitian, mit dem hingerichteten
Freunde aller Wahrscheinlichkeit nach dessen Vetter Flavius Sabinus gemeint*). Eine der-
artige Verkettung von Umständen bildet nun aber auch die Veranlassung der julianischen
Trostrede. Hier ist der Scheidende Sallustius, der wegen seiner Freundschaft mit dem Caesaren
Julian, dem Vetter des Kaisers Konstantins, von Sykophanten (beachte epist. 17; bes. p.
498,1 ff.) am kaiserlichen Hofe so lange verleumdet worden war, bis er aus der Umgebung
jenes abberufen wurde (s. p. 313,13 ff.). Man sieht, Julian tritt selbst an die Stelle des hin-
gerichteten Freundes bei Dion, was umso eher passt, als er ja bekanntlich dem Konstantins vor-
*) S. Rohde, »Der griech. Roman« p. 464.1 nach dem Vorgange von Fabricius (s. Orelli ad Sallust.
p. 191 ff.) und Zeller, »Philos. der Gr.« lü 2» p. 664 ff. «) Vgl. Zeller a. a. O. III 2* p. 685 Anm.; 697.};
Höhten ad Sallust. c. 4 bei Orelli. ') Rohde a. a. O. möchte auch epist. 16 »an Maximus« § 8 (sie: wohl p. 495.8
ff.) auf Sallustius beziehen. — Der Brief wird jedoch neuerdings von C u m o n t. »Sur Tauthenticit^ de quelques
leitres de Julien« Gand 1889 (Recueil de travaux publik par la faculte de philosophie et lettres 3* fasc.) p. 18
ff. für unecht erklärt *) S. Eniperius, »De exilio Dionis« Braunschw. 1840. Vgl. Breitun g. »Das Leben des
Dio Chrysostomus« Progr. Gebweiler. 1887 p. 9 ff.; Christ, a. a. O. p. 59S.2.
17
warf, er habe ihn bloss deshalb nach Gallien geschickt, unn ihn aus dem Wege zu räumen*).
Durch diese Anlehnung an den Rhetor wird aber »der gewaltige Kaiser«, wie Julian p. 316,1
mit anscheinender Loyalität seinen Vetter nennt, ebensowie in dem Mustermythos in die Be-
leuchtung eines »Tyrannen« gerückt. Eine solche Anspielung konnte dem Sallustius nicht
wohl entgehen, so dass die Trostschrift wenigstens für ihn die Bedeutung einer versteckten
Satire erhielt. Doch die aufgezeigte Uebereinstimmung ist keineswegs eine vereinzelte: Bei
Dion (p. 241,16 ff.) und bei Julian (p. 312,7 ff.) kehrt der Gedanke wieder, bei den Wechsel-
fällen des Lebens hänge es vollständig von dem Charakter des Betroffenen ab, ob er sich
schwer oder leicht darein finde. Beide Autoren (D. p. 241,17 ff. und J. p. 323,22 ff.) führen
auch den Odysseus als Beispiel eines Mannes an, der das Los der Verbannung unmännlich
und unrühmlich trage. Wenn demnach die Trostschrift sich an Dions Rede »über die Ver-
bannung« anlehnt, und diese Anlehnung eine bewusste, für den Adressaten verständHche Spitze
gegen Konstantius enthält, so hätten wir in ihr die frühste Satire Julians gegen seinen
kaiserlichen Vetter zu erblicken. Da der zweite Panegyrikos später anzusetzen ist*), so fällt
hiedurch auf die Aufrichtigkeit der darin zur Schau getragenen Gesinnung ein grelles Streiflicht,
und ein Leser wie Sallustius konnte denselben auf keinen Fall ernst nehmen. Den Eingeweihten
mussten die Lobsprüche auf den Kaiser notwendigerweise einen ironischen Eindruck machen:
Für sie bedeutete der Mu.stermythos mit seiner völligen Umkehr des zweiten Panegyrikos keine
Ueberraschung. da ja in ihm die mythische Einkleidung dasselbe verbirgt, was sie bereits in
der Trostschrift und in der Lobrede unter der gleisnerischen Maske der Loyalität suchen zu
dürfen glaubten^).
Sollte Julian wie in diesen drei mehr oder minder ausgesprochen satirischen Schriften, etwa
auch in seiner politischen Spottschrift »Das Gastmahl oder das Kronosfest«, oder wie man sie ge-
wöhnlich nennt, in den ^^Caesares^^ Anleihen bei Dion gemacht haben? Die Scenerie und die Hand-
lung sind kurz folgende: Die »Gütterversammlung(p. 431,20)« sitzt im hohen Himmel (p. 394,17 ff.)
über die Kaiser zu Gericht, welche im Luftraum unter dem Monde (p. 395,2; vgl. p. 422,15 ff.) eine
durch »heilige Mauern (p. 402,8 ff.)« von einem »Vorplatz (p. 405,20; 408,15; 422,16)«^) geschiedene
»Heroenversammlung (p. 405,18)« bilden. Während der Vorplatz im Machtbereich der »Tryphe
(p. 422,15 ff.; 431,9; vgl. p. 399,23 ff.: Aphrodite Pandemos; p. 405,10 ff.)«, «Asotia (p. 431.12)«,
»Atheotes (p. 431,21 ff.)« und der »Rachegeister (p. 398,16; 431,22)« liegt, untersteht die Heroen-
Versammlung den Göttern und vor allem der »Di ke (p. 398,16; 401,20: vgl. 402,15 ff.; 404,22;
405,13. 19: vgl. 408,10)«, insofern diese über die Aufnahme in dieselbe entscheidet und die
nicht lür würdig Befundenen jenen bösen Daemonen überlässt, von denen sie dann in den
*) S. Ammian. XV 8,17; Joannes Antioch. bei Muellcr, »Fragm. bist. Graec.« IV p. 605 fr. 76. Vgl.
Zeidler, >»Der Kaiser Julian und seine Reaction« Dresden 1869 p. 19; 47,68; Hecker a. a. O. p. 7; Krainz a. a.
O. p. 10; 25,1; Scheler a. a. O. p. 28 ff.. *) S. Schwarz a. a. O. p. 7. ^) Auch von diesem Gesichtspunkt aus
betrachtet, ist es leicht zu begreifen, dass Libanios (im Epitaphios), Zosimos und zum Teil auch Ammianus sich in
der Beurteilung des Konstantius auf den ausgesprochen negativen Standpunkt von Julians Brief an die Athen':;r
stellen, worin Hecker a. a O. p. 9 wohl mit Recht eine Entstellung der Geschichte erblickt. Vgl. auch Scheler
a. a. O. p. 12; 37. *) Vgl. or. 7 p. 304,25 19 ff., wo Julian erklärt, er sei bis zu der »Vorhalle der Philosophie«
gelangt, und p. 310,5 ff., wo von den »heiligen Mauern« die Rede ist, welche den Aufenthaltsort der in die
Mysterien Eingeweihten umschliessen.
lim Ol Dr., Joliao und Dion Cbrjsoitomoi. o
i8
Tartaros gestürzt werden (p. 398,16 ft.; vgl. p. 399.12 ff.; 399,18 ff.; [vgl. or. 4 p. 175,25 ff.];
402,5 ff.; 403,8 ff.; 405,21—406,18)*). Unter den Göttern befindet sich auch Herakles (p.
394,20) und schlägt vor, die Erschienenen behufs ihrer Versetzung unter die Unsterblichen
zu prüfen (p. 406,12 ff.). Nach Beendigung des nun beginnenden Wettstreits fragt Hermes
die einzelnen, was sie für das höchste Gut hielten (p. 428,3 ff.), worauf demjenigen unter
ihnen, der sich liir die Nachahmung der Götter erklärt, der Preis erteilt (p. 430,15) und damit
die Vereinigung mit Zeus zugestanden wird (p. 431,3 ff.).
Es springt sofort in die Augen, dass man es hier ebenfalls wie in dem Mustermythos
mit einer freien Nachahmung der Heraklessage bei Dion (s. o. p. 6 ff.) zu thun hat:
Die Götter und die schlechten Dämonen einerseits entsprechen der Zeustochter Basileia und
der Tyrannis mit ihrem Gefolge andrerseits. Die Heroenversammlung und der scharf davon
geschiedene Vorraum sind die Regionen am Fusse der Zeushöhe und des Typhongipfels, und
in den heiligen Trennungsmauern erkennt man die steilen Abhänge dieser Höhe wieder (D. p.
15,7). Die überirdische Lage der beiden Vereinigungspunkte erinnert an die hohe Bergkuppe,
aus welcher die beiden Gipfel bei Dion (p. 14,24 ff.) hervorwachsen. Wenn der Einlass in
die Heroenversammlang von der Zeus entsprossenen Dike abhängt, so ist auch der Zugang
zu der Zeushöhe nur durch die Gnade des höchsten Gottes geöffnet (D. p. 15,4 (f.), während der
Versuch, »gegen das Recht« dahin zu gelangen, den Absturz derer herbeiführt, die ihn trotzdem wagen
(D. p. 15,6 ff.). An die Stelle des Herakles ist der preisgekrönte Kaiser (s. u. p. 22)
getreten, und er erwirbt sich auch die Gnade des Zeus ganz auf dieselbe Weise wie der Heros.
Verdankte sie dieser seinem Gelöbnis, der Zeustochter Basileia nacheifern zu wollen (D. p.
18,20), so sichert sich der Kaiser dieselbe durch die allgemeiner gehaltene Erklärung, er kenne
nichts Höheres als die Nachahmung der Götter. Auch seine äussere Erscheinung ist Dion
nachgebildet. Denn die >»ganz ehrwürdige Gestalt . . ., der einfache Mann ohne alle
Ziererei, der in seiner Kleidung einfach und bescheiden ist (p. 407.23 ff.)-^)«, erinnern
lebhaft an das »ehrwürdige« Antlitz der nur mit einem »weissen« Gewände angethanen Basileia
(p 15.26 22), während ihr Zerrbild, die Tyrannis, in »Kleidern aller Art (p. 18,1 ff.)" prangt.
Wenn Julian p. 408,4 ff. den Körper des Kaisers »wegen Mangel an Nahrung so geisterhaft
und durchsichtig« nennt, »dass man ihn mit dem reinsten und lautersten Lichte ver-
gleichen möchte«, so geht diese Schilderung auf Herakles, den typischen Vertreter der
Basileia zurück, aber nicht unmittelbar auf den dioneischen Herakles, sondern auf den neu-
platonisch verbrämten, wie er in der kurzen Skizze or. 7 p. 284,19 ff. 14 und or. 5 p. 216.8 ff.
gezeichnet wird. Hier heisst es nämlich, der Heros habe »den Kampf gegen den Mangel an
Nahrung aufgenommen (p. 284,14)« und einen »aus dem reinsten Aether bestehenden, gött-
lichen K()rper« besessen. — Hermes hat seine Rolle bewahrt, insofern seine Frage nach dem
höchsten Gut eine Verallgemeinerung der Alternative ist, vor die er bei Dion den Herakles
*) Auch die »Reue, diese weise und die Fehlenden rettende Göttin«, wird in den Caesares p. 418.4 ff.
genannt, und zwar von Alexander dem Grossen, der sich damit wegen seiner Vergehen entschuldigen will. Hiemit
ist Themistios zu vergleichen, der in der 22. Rede die dioneische Scenerie der Heraklessage kopiert und unter den
allegorischen Figuren auch die »Reue« mit aufliihn. Vgl. Weber a. a. O. p. 248,4. Vgl. u. p. 27 ff.; o. p. 9.
•) In der deutschen Wiedergabe der Stellen aus dem Caesares schliessen wir uns in den meisten Fällen an
Osiander's Uebersctzung (Stuttg. 1856) an.
19
stellt, und insofern er hiedurch an beiden Orten die Apotheose seines Prüflings vermittelt.
Dagegen hat der Sohn der Alkmene, wie bereits erwähnt, seine Stelle nicht behalten. Jedoch
gerade der Umstand, dass ihm in der Satire eine so bedeutende Rolle zugedacht ist (s. p.
394,20 ff.; 406,8 ff.; 417,22 ff.), zusammengenommen mit der in dem einleitenden Dialog p.
394,11 ff, enthaltenen Bemerkung, der Eingang sei «ebenso mythisch als rhetorisch ersonnen«,
weisst unwillkürlich auf den rhetorischen Heraklesmythos Dions als Quelle Julians hin.
Aber auch sonst hat die julianische Satire mit dem dioneischen Mythos manches ge-
mein: In der Einleitung wollen beide, der Kaiser (p. 394,7 ff.) wie der Rhetor (p. 11,12 ff.),
was sie erzählen, von Hörensagen wissen, nur dass jener statt einer Hirtenfrau den Gott
Hermes zu seinem Gewährsmann macht (vgl. p. 405,14 ff.). Hiezu wurde er offenbar durch
die wichtige Stellung veranlasst, die der Götterbote bei Dion inne hat, vielleicht auch durch
die blosse Behauptung, der Mythos sei göttlichen Ursprungs (s. o. p. 11). Beide deuten so-
dann an, dass ihre Mythen nicht blosse Erdichtungen sind, sondern dass sie auch etwas
Wahres enthalten (vgl. J. p. 394,8 ff.; D. p, 11,9 ff.). Wenn es in der Erzählung selbst p.
395,10 ff. von dem »göttlichen Glänze« der für Kronos bestimmten Kline heisst, er sei so stark
gewesen, »dass niemand sie ansehen konnte, und dass bei seinem wunderbaren Schimmer die
Augen . . . dieselbe Empfindung hatten, wie wenn einer allzu starren Blickes die Sonnenscheibe
anschauen wilhr, so ist dies eine Entlehnung aus der Beschreibung der Basileia, von deren
Antlitz der Rhetor p. 15,27 sagt, es sei so strahlend gewesen, »dass kein Schlechter habe
hinsehen können, so wenig wie das schwache Auge den Anblick der Sonnenscheibe ertrage«.
Ferner ist die Angabe p. 395,13 ff.: »Der Sitz des Zeus war heller als Silber und blasser als
Gold. Ob man diesen Stoff Elektron oder mit einem anderen Wort benennen soll, konnte
mir Hermes aus der Wissenschaft der Metallforschung nicht ganz genau angeben« lediglich eine
Uebertragung von der Schilderung des Scepters der Basileia (p. 15,22 ff.), das »nicht von Gold
und auch nicht von Silber war, sondern aus einem andern reinen und viel glänzenderen Stoffe
bestand. Weiterhin geht das Lob der bei den Göttern herrschenden Ordnung p. 396,4 ff.:
»Keiner stritt mit dem andern um den Vorrang . . ., es entsteht . . . keine Verwirrung in
der Ordnung der Sitze, noch ein Wechsel derselben, noch sucht einer den andern von der
Stelle zu verdrängen, sondern jeder weiss, wo er hingehört«, auf die viel einfachere Bemerkung
Dions p. 15,31 ff. (vgl. p. 17,19 ff.) zurück: »Es herrschte aber viel Anstand und geräuschlose
Ruhe an dem Platze (der Basileia)«. Der erste Kaiser, welcher in der Versammlung erscheint,
Oktavian, wird p. 397,4 ff. dargestellt »gleich dem Qiamäleon, die Farbe häufig wechselnd«,
womit die Beschreibung der Tyrannis p. 18,5: »Sie wechselte vielfach ihre Farbe« fast wörtlich
übereinstimmt, ebenso wie die Angabe p. 397,7 ff., der Kaiser sei erst »finster, mit wolkiger
Stirne und dann wieder der Aphrodite un^ den Grazien ganz hingegeben gewesen«, zu den
Mienen der Tyrannis (p. 17,22 ff.) passt, welche »trotz des Bestrebens, das Wesen der
Basileia nachzuahmen, statt liebenswürdig wie diese zu lächeln, verdrückt und tückisch die
Zähne gebleckt, und statt würdig dreinzuschauen, ein finsteres und wildes und argwöhnisches
Gesicht gemacht habe«. Nicht minder deutlich erinnern die Worte p. 397,8 ff.; »Er wollte,
dass die Blicke seiner Augen gleich der grossen Sonne strahlen sollten, so dass niemand ihm
ins Gesicht zu schauen vermöchte«, einerseits an die Tyrannis, welche p. 17,25 ff., »um den
Eindruck eines hohen Sinnes zu machen, die zu ihr Kommenden nicht ansah, sondern über
20
sie hinweg schaute«, und andrerseits an die Basileia, deren Antlitz, wie schon oben p. 19 gesagt
wurde, der strahlenden Sonne glich. Wenn Apollon p. 397,15 ft. mit den Worten; »So
komm* denn , . . und nimm meinen Zögling in Aufsicht« den Kaiser dem Zenon übergiebt,
so entspricht dieser Auftrag demjenigen des Zeus (p. 14,20 ff.) an Hermes, sich der Erziehung
des Herakles anzunehmen. Aber auch bei Konstantinus muss man an den dioneischen
Herakles denken, da Julian p. 422,10 ff. von ihm sagt: »er hatte . . . zwei Tyrannen (Maxentius
und Licinius: vgl. die oben p. 13 angeführten Stellen, an welchen Magnentius so genannt wird)
gestürzt«, und dieser Kaiser sich im folgenden p. 423,3 ff. rühmt, er habe »die schlechtesten
Tyrannen verfolgt«, und verdiene (p. 423,5 ff.) wegen seiner »Heldenthaten gegen die Tyrannen«
den Preis^). Denn bei dem Rhetor ist es p. 14,2 ff. eine Hauptaufgabe des Göttersohnes,
»tyrannische Menschen zu stürzen«, und p. 18,26 ff. erzählt er von ihm: »Wo immer er eine
Tyrannis und einen Tyrannen erbhckte, züchtigte und beraubte er ihn der Herrschaft (vgl.
p. 19.1 ff.)«.
Allein neben der Heraklesallegorie sind auch die übrigen Ausführungen Dions »über
die Königsherrschaft« in den Caesares stark benützt. So musste namentlich die vierte Rede
des Rhetors die Farben zu der Zeichnung Alexanders des Grossen herleihen. Wenn
nämlich der Makcdonierkönig bei Julian p. 424,15 ff. seinen Grundsatz, »alles besiegen zu
wollen (p. 424,7: vgl. D. or. 2 p. 22,30 ff.)«, dahin erläutert, er meine damit »jede Art von
Menschen und wilden Tieren«, so ist dies nur eine Umschreibung von Dions Worten p. 64,18 ff.;
»Er strebte danach, geehrt zu werden . . . nicht nur von den Menschen allerorten, sondern
womöglich auch von den Vögeln und den wilden Tieren in den Bergen (s. u. p. 23,4; vgl.
or. I p. 18,29 ff.; or. 5 p. 94,3 ff.)«. Die Kritik des Silen p. 424,23 ff., Alexander sei oft-
mals seinen eigenen Leidenschaften unterlegen, giebt bloss den Ausspruch des Diogenes
bei Dion p. 74,3 ff. wieder, wonach der König selbst sein gefährlichster Feind sei. Und wenn
Dionysos in der Satire p. 425.15 dem Silen zuruft: »Höre auf mit solchen Reden, Väterchen,
es möchte dich sonst dieser Mann ebenso behandeln, wie den Klitus«, so entspricht diese
Warnung den Worten des Kynikers a. a. O. p. 75,23 ff.: »Daraufhin kannst du nun böse
werden ...» wenn du aber willst, mich sogar mit deinem Speere durchbohren«. Schliesslich
birgt der Vers: »der, selbst goldumglänzt, ganz üppig erscheint, wie ein Mädchen«, womit
Silen p. 402,18 ff. den »in allzuweichlichem Aufzuge und weibischer Haltung« erscheinenden
Kaiser Gallienus begrüsst, sicherlich eine Reminiscenz aus Dions zweiter Rede p. 31,1, wo
der Originalvers zu dieser Homerparodie (Iliad. II 872): »Er, der mit Golde geschmückt, in
die Schlacht einging wie ein Mägdlein«, in einer Erörterung über die Kleidung citiert wird,
die einem Könige nach Homer anstehe, zum Beweise, dass der Dichter »die Ueppigkeit und
den Unverstand« verlache. Wie alle diese Einzelheiten, so weisen auch die allgemeinen Aus-
führungen »über die Königsherrschaft«, welche den in den Caesares auftretenden Personen in
*) In dem ersten Panegyrikos findet sich ganz derselbe Vergleich des Konstantinus mit Herakles. Es
heisst liier p. 94 tT. (vgl. p. 1,5) ebenfalls mit Bezug auf Maxentius und Licinius: »Tyrannenherrschaften . . .
stürzend durchzog er die ganze bewohnte Erde«. Hiczu führt Wyttenbach, »Apimadv.K a. a O. p. 145
unter andern interessanten Parallelen auch Dion or. 5 p. 94,5 tf. an. Vgl. auch die von demselben Gelehrten bei-
gezogene Stelle: Gregorios Naz. inv. i in Jul. col, 561 A. a a. O., wo Konsiantius gepriesen wird, weil er »die
Barbarcr.völker ringsum gesäubert und die einheimischen Tyrannen unterworfen« habe. Vgl. Jul. or. i p. i6,$ tf.
21
den Mund gelegt werden, so unverkennbar auf Dion zurück, dass wir uns füglich ein näheres
Eingehen hierauf ersparen können.
Haben wir somit gezeigt, dass nicht nur der Muster mythos Julians, sondern auch
seine Caesares im wesentlichen freie Nachbildungen von Dions Heraklesallegorie sind, so kann
es nicht Wunder nehmen, wenn sich auch zwischen den beiden Julian ischen Werken
selbst mannigfache Berührungen finden: Wir haben oben p. 15 ff. gesehen, dass unter den Zu-
hörern, welchen der Kaiser den Mustermythos vortrug, Sallustius als vertrauter und litterarisch
gebildeter Freund Julians einen wichtigen Platz eiimimmt, und dass der Redner gerade bei
ihm, und vielleicht nur bei ihm, volles Verständnis für seine Dichtung voraussetzen konnte.
Ist somit der Mustermythos wesentlich an diesen einen Zuhörer gerichtet, so ist ein Gleiches
auch bei den Caesares der Fall. DerMitunterredner desProoemiums ist ein vertrauter
Freund des Kaisers und wird von ihm nicht mit Namen genannt, sondern lediglich mit dem
Kosewort »Philotes*)« angeredet. Da er jedoch p. 394,1 ff. diesem ausdrücklich erklärt: »Auch
ich verachte die Mythen nicht und verschmähe diejenigen, welche richtig abgefasst sind, durch-
aus nicht, worin meine Ansichten mit den deinigen übereinstimmen«, so werden wir nach dem
oben p. 15 ff. Ausgeführten nicht fehl gehen, wenn wir annehmen, dass es kein anderer ist
als Sallustius, dem Julian auch diesen Mythos vorträgt. Hatte er ihm doch auch die gleich-
namigen verlorenen »Kronia« zugesandt Dann hätten also die Trostschrift, der
Mustermythos unddieCaesares den gleichen Adressaten ; was umso weniger
zu verwundern ist, als sie bloss verschiedene Phasen und Ausdrucksweisen der satirischen
Kritik darstellen, die der Kaiser einem vertrauten Freunde gegenüber an der Regierung seines
Vorgängers übt. Die oben angeführten Worte des Mitunterredners kennzeichnen unsere Satire
ebenfalls als eine Art von Mustermythos, und ebenso kehrt in einer Schlussbemerkung zu
diesem p. 304,8 ff. die bereits o. p. 19 mitgeteilte Andeutung der Caesares wieder, man habe
es in der dargebotenen Erzählung mit einem Gemisch von Dichtung und Wahrheit zu thun.
Wenn hier p. 301,1 ff. der von Helios ausgehende Glanz geschildert wird, Dike sich in der
Gesellschaft des Göttervaters befindet (p. 297,4), dieser seinen Schützling p. 297,14 ff. dem
Helios (p. 297,25; vgl. p. 298,1) und der Athena (p. 298,5) zur Pflege übergiebt und ihm den
Hermes sendet (p. 298,19), und Julian endlich auf den Rat des Hermes, sich von Zeus unter
vielem das beste zu erbitten (p. 299,13), diesen anfleht, ihm den Weg auf die Zeushöhe zu
zeigen (p. 299,20 ff), so haben wir im obigen p. 18 ff bei der Zurückführung der Caesares
auf Dion für all diese Einzelheiten schon klar in die Augen fallende Parallelen aus
der Satire angeführt (s. p. 395,10 ff.; 397,^5 ff; 398,^6; 401,20; 404.22; 405,13. »9; 428,3 ff;
428,5 ff.).
*) Vgl. hierüber »A. Enc«. Schon die ersie Uebcrsetzung von Cantoclarus Paris 1577 u. 1585 über-
setzt richtig: »ö amice« (p. 25 bzw. 13). Ebenso die des Cunaeus Lugd. Bat. 161 2. Eine gute Erklärung der
Anrede giebt Span heim in seiner anonymen franz. Ausgabe Paris 1685 p. 524, wo jedoch im Texte: »Philotes«
steht (s. auch den Abdruck in der Heusingcr'schen Ausgabe Goth. 1756 u. 174 1). In der anonymen
deutschen Ueberseizung Halle 1788 und in der Osiander'schen a. a. O. p. 19 wird der Mitunterredner auch
»Philotes« genannt; Mücke a. a. O. p. 184, wie auch Bartenstein a. a. O. p. 45 sehen das Wort gleichfalls für
einen (erdichteten) Namen an.
22
Besonders interessant sind aber diejenigen Stellen, an welchen die persönlichen Ver-
hältnisse Julians und seiner unmittelbaren Vorgänger in beiden Schriften übereinstimmend
behandelt werden. Unter diesen kommen vor allem die auf den Helioskult des Kaisers
bezüglichen in Betracht*). In den Caesares nennt er den von Aurelian verehrten Sonnengott
p. 403,11 seinen »Gebieter«, und am Schlüsse der Satire p. 432,1 ff. legt er dem Hermes
folgende Worte in den Mund: »Dir aber (Julian) habe ich vergönnt, den Vater Mithras (vgl.
or. 4 p. 201,10 ff.) zu erkennen, und du halte dich an seine Gebote, wodurch du dir im Leben
ein Haltseil und einen sichern Ankerplatz verschaffst, und wenn du von dannen scheiden musst.
neben guter Hoffnung für dich einen gnädigen Gott zum Führer gewinnst«. In ganz ähnlicher
Weise nennt der Kaiser in dem Mustermythos p. 301,1 den Sonnengott »König Helios«, stellt
sich ihm p. 301,24 bedingungslos zur Verfügung, folgt ihm p. 303,2 ff. in allen Stücken und
bezeichnet p. 304,2 sein Verhältnis zu ihm als ein Dienstverhältnis. Hermes lässt ihn auch
hier p. 299,26 ff., indem er ihn zu der Zeushöhe hinführt, durch Vermittlung des Göttervaters
den Helios selbst schauen. Dieser erteilt ihm p. 302,21 ff. Gebote, ermahnt ihn p. 303,20 ff.,
unentwegt an denselben festzuhalten, und erfüllt ihn durch das Versprechen seiner gnädigen
Führung (p. 302,26 ff.; 304,5 ff.; vgl. p. 30r,27) mit guter Hoffnung (p. 303,3) für das zeitliche
und das ewige Leben (p. 304,4 ff.). Als Besonderheit mag endlich hier noch angeführt werden,
dass die Wendung im Mustermythos p. 300,4; »(der Jüngling) hielt sich fest (an Helios)« in den
Caesares p. 431.3 fast wörtlich wiederkehrt, nur dass hier der preisgekrönte Kaiser, Zeus und
Kronos die Stelle des Schützlings und des Beschützers einnehmen.
Dem Kaiser Konstantinus, wird in dem Mythos p. 295,5 ff. 21 der Vorwurf
gemacht, er sei habgierig gewesen und habe »gegen das Recht« reich werden wollen: In
der Satire erklärt er p. 430,6 selbst einen grossen Besitz für das höchste Gut, und p. 422,18 ff.
heisst es von ihm, er kümmere sich nicht um das Recht. Sein Besitz wird dort p. 295,11 ff.
als unhaltbar hingestellt: Hier werden p. 423,11 ff. seine Errungenschaften in demselben
Sinne mit den »Gärten des Adonis« verglichen. In dem Mustermythos fällt er p. 295,5 ff,;
296,4 ff. mit seinen Söhnen, unter denen Konstantius (p 301,2 ff.) sich der Schwelgerei ergiebt,
von den Göttern ab: In der Satire wendet er sich p. 431,8 ff. (vgl. p. 422,15 ff.) statt zu
den Göttern den Dämonen Tryphe und Asotia zu, bei welchen er Jesus (s. o. p. 11,4) findet-),
und geht mit seinen Söhnen aus der Götterversammlung. Nur die Rücksicht endlich auf seine
Vorfahren sichert seinem Hause an beiden Orten den Fortbestand (vgl. Caes. p. 431,3 ff.
[vgl. p. 403,3 ff.; 404,24 ff; or. I p. 7,20 ff.] mit Myth. p. 296.11 ff.; 304,3 ff.).
Für das Verhältnis der Caesares zu dem Mustermythos ist es bezeichnend, dass sich
der Held des letzteren, Julian selbst, in der Satire vorzugsweise im Bilde des Kaisers Mark
Aurel spiegelt'). Denn dieser ist der mit den Zügen des dioneischen Herakles gezeichnete
Sieger im Wettstreit (s. o. p. 18). Aber auch auf Alexander den Grossen, den
er or. 7 p. 275,20 »den königlichsten*) seiner Zeit« nennt, lallen einige Strahlen der
') Hierüber vgl. u. a. Jaehnc, »De Julian! Augustiin Asia rebus gestis usquc ad bclluiii Persicuni« Progr.
Budiss. 1840 p. 8. *) Die Stelle erklärt Tcuffel, «De Juliane iniperatorc Chrisiianisnii contcmtore etc.« Diss.
Tubing. 1844 p. 20 ff. *) Mit diesem wird Julian auch von Joannes Antioch. frg. 180 a. a. O. verglichen. Vgl.
luch Animian. XXV 4,17, *) So nennt Eunapios bist. rec. Bekk. p. 64 den Kaiser selbst.
25
Verklärung^). Denn der unter die Götter aufgenommene Vertreter des idealen Herrschertums,
Herakles (p. 394,20), nennt ihn p. 406,9 ff. »seinen Alexander« und flosst ihm p. 411,11 ff.
während der Prüfung Mut ein, so dass er p. 417,18 ff. stolz von seinen Thaten sagt: »Ihr
Andenken . . . wird mit mir unsterblich bleiben, wie das Andenken an die Thaten des
Kallinikos, meines Königs (vgl. or. 7 p. 283,26: »Der Gebieter Herakles«, Caes. p. 403,11 ff.:
»Helios, mein Gebieter«, or. 7 p. 289,10; 297,25: »König Helios« [vgl. or. 4 p. 168,8 u. ö.];
P- 305>3* "Die Könige, die Götter«), dessen Diener und Nachahmer ich war, indem ich . . ,^)
dem Herakles voll Bewunderung nachstrebte (vgl. auch p. 424,15 ff. mit Dion p. 18,31 ff.),
soweit ein Sterblicher den Fussstapfen eines Gottes folgen kann«. Zu Herakles gesellt er
sich auch p. 431,1 ff. nach Schluss der Prüfung. An Mark Aurel und Alexander reiht sich
als drittes Vorbild Julians der Kaiser Trajan^) an, da dieser p. 431,6 dieselbe Wahl trifft,
wie der Makedonierkönig, und einige von den Herrschertugenden repräsentiert, die sich der
Held des Mustermythos p. 303,9 ff. von Helios als erstrebenswerte anempfehlen lässt: Es
ist die Milde gegen die Unterthanen, der den Feinden eingeflösste Respekt und die Achtung
vor dem Göttlichen. Nun haben wir oben p. 9 gezeigt, dass die Lehren des Helios auf
Dions erste Rede zurückzuführen sind, worin gerade Herakles als Herrscherideal dargestellt
wird. Herakles ist aber hier niemand anderes als eine mythisch- allegorische Verkleidung
des jungen Trajan, wie wir diesen auch in der vierten dioneischen Rede in Alexander wieder
zu erkennen haben, dem dort p. 69,19 ff. Herakles zur Nachahmung empfohleu wird*). Denn
diesen Kaiser hat ja bekanntlich Dion bei seinen vier Reden »über die Königsherrschaft« be-
ständig im Auge''*). Für Julian ergiebt sich aus dem Gesagten, dass der Sohn der Alkmene,
*) Interessant ist in dieser Beziehung die Stelle Jul. or. 3 p. 137,26, wo es von Alexander heisst:
»Er verehrte als der erste unter den Menschen die aufgehende Sonn e«. Damit wird der Verehrer des kynischen
Heros Herakles zugleich zum neuplatonischen Heliosanbeter gestempelt (s. o. p. 22). — In der Galiläerschrift p.
218 B apud. Cyrill. wird Alexander geradezu als das Muster eines Feldherrn hingestellt. Dass der Kaiser ihn nachahmte,
versichert u. a. Ammianus XXV 4; Libanios epist. ed. Wolf 15,53 stellt Julian noch über den Makedonien Zosimos
vergleicht seinen Sieg über die Alamannen mit dem Siege Alexanders über Dareios. S. Zeidler a. a, O. p. 48,70.
Vgl. Kellerbauer a. a. O. p. 28 Anm.**; 33*; Krainz a. a. O. p. 14.2; Reinhardt, »Der Perserkrieg des Kaisers
Julian« Progr. Dessau 1892 p. 45. — Vielleicht ist das Interesse und die Vorliebe Julians für die Kyniker in letzter
Linie auf den bekannten Ausspruch Alexanders über Diogenes zurückzuführen. Vgl. De La Bliiterie, »Vie de
l'empereur Julien« Amsterdam 1735 p. 204 (deutsche Ucbersetzung Berlin 1736 p. 202; s. auch p. 198). *) Als
sein erstes Vorbild nennt der König hier den A c h i 1 1 e u s (vgl. or. 7 p. 274,18 ff.), womit Dion or. 2 p. 22,19 ^-i
26,21 ff.; or. 4 p. 73,6 ft". zu vergleichen ist. ^) Mit Trajan und Mark Aurel vergleicht den Kaiser auch Ammianus
XVI 1,4. Dass er letzteren nachahmte, behauptet u. a. Eutropios 10,16. Vgl. auch C e n t e r w a 11 , »Julianus Affällingen
etc.« Stockholm 1884 a. E. (nach der Anzeige in Sybel's Histor. Zeitschr. 54. 1885 p. 313). ■•) Nur unter diesem
Gesichtspunkte ist die o. p. 20 angeführte Stelle Dion or. 4 p. 64,18 ff. verständlich. *) Vgl. Burckhardt, »Ueber
den Werth des Dio Chrysostomus für die Kenntnis seiner Zeit« Neues Schweiz. Mus, 4. 1864 p. 114; Haupt,
»Dio Chrysostomus als Historiker« Philologus 45. 1884 p. 397; Brehung a. a. O. p. 17,47; Stich a. a. O. p. 4;
Christ, a. a. O. p. 596. — Dion schrieb auch eine Biographie Trajans, womit er »vielleicht ein Seitenstück zu den
von ihm verfassten acht Büchern über die Tugenden Alexanders des Grossen liefern wollte«, da
ja »auch in den vier ersten Reden . . ., in denen uns das Ideal eines Herrschers mit deutlicher Beziehung auf
Trajan geschildert wird, die Person des grossen Makedoniers entschieden hervortritt« (Haupt). Es wäre nicht un-
möglich, dass Julian or. 6 p. 263,2 ff. bei den »Büchern«, aus welchen hervorgeht, »wie sehr Alexander den hohen
Sinn des Diogenes bewundert haben soll«, u. a. auch an das letztgenannte Werk Dions denkt. Vielleicht bezieht
sich hierauf die Stelle or. 7 p. 275,16 ff.: »Diogenes ging, obschon arm und von Geldmitteln entblösst, nach
24
wie er das Bindeglied zwischen den beiden dioneischen Reden bildet, so auch bei ihm ver-
bindend und vermittelnd zwischen dem Mustermythos und dem Caesares steht.
Vergleicht man diese beiden Schriften einerseits und den zweiten Panegyrikos Julians
andrerseits mit Dions Heraklesallegorie und dem ihr sehr nahestehenden Abriss derselben bei
Julian, so lässt sich zwischen den beiden politischen Satiren und der Lobrede ein wesentlicher
Unterschied in der Behandlung des ihnen gemeinsamen Sagenstoffes konstatieren. Da nämlich
der Panegyrikos wie der Abriss auf Dion zurück und nicht wesentlich über ihn hinaus-
geht (s. o. p. 6 ff. lo), dieser aber wiederum auf ein kynisches Original zurückzuführen ist, so
stellt sich hier das durch Herakles versinnbildlichte Herrsch er ideal hauptsächlich nach der
Seite der praktischen Lebensbcthätigung dar. Anders in den! Mustermythos und in den
Caesares. In diesen beiden Werken ist es weit mehr auf die Darstellung der Identität
des Herrschers und des Philosophen, oder besser gesagt, der Erlangung der »königlichen
Tüchtigkeit (s. p. 283,26) durch das Studium der Philosophie abgesehen*). Andeutungen
dieser Ideen finden sich allerdings auch schon bei Dion und in dem Abriss bei dem Kaiser.
Verbirgt sie sich bei Dion mythisch -allegorisch in der Aussendung des Hermes behufs Aus-
bildung des Helden zum Herrscher, so ist dies auch in dem Mustermythos der Fall. Dieselbe
Vorstellung tritt aber hier und in dem Abriss noch deutlicher durch das Interesse zu Tage,
das dem Helden vonseiten des Helios und der Pronoia Athena entgegengebracht wird. In
den Caesares endlich kommt sie einmal durch die Freundschaft Julians mit Hermes und den
Schutz des Mithras gleichfalls allegorisch zum Ausdruck, dann aber auch dadurch, dass der
zu den Göttern entrückte «König (p. 39420; 417,20)« Herakles die gemeinsame Prüfung der
Herrscher vorschlägt (p. 406,12 ff.), in welcher vor allem auch »die Gesinnungen« derselben
und nicht bloss ihre »Thaten« ans Licht gezogen werden (p. 423,21 flf.); endlich noch durch
die Bemerkung des Zeus zu Kronos p. 407,18 ff., »er wundere sich zu bemerken, dass während
man kriegerische Kaiser zu diesem Wettkampf einlade, kein Philosoph dabei sein solle: ihm
aber seien solche Männer nicht minder wert; es solle daher auch Markus herbei gerufen
werden«. Dion und der Abriss bei Julian sprechen aber auch noch von einer besonderen
Unterweisung des Herakles durch Lehrer (vgl. D. p. 13,20 ff.; 14,9. J. p. 284,6 ff.; 283,25 ff.),
und diese Andeutung wird in dem Mustermythos insofern verwertet, als hier Helios p. 303,15 ff.
zu seinem Schützling sagt: »Du bist eben noch jung und noch nicht eingeweiht. Gjhe
drum zu den Eurigen, damit du dich einweihen lässt«, womit Juli.in offenbar seine eigene
philosophische Ausbildung meint (s. u. p. 26 ff.)
Olympia, den Alexander aber forderte er auf, zu ihm zu kommen, wenn man dem Dion Glauben schenken
darf«. Denn in der vierten Rede, die man nach Hertleins Vorgang (Adnot. crit. zu der Stelle) für die Quelle
dieser Angabe ansieht (vgl. Weber a. a. O. p. 98,2; Frachter a. a. O. p. 4^, erzählt er p. 65.27 ff. nicht, Diogenes
habe den Alesander zu sich beschieden, sondern dieser sei von selbst zu ihm gegangen, und zwar nach Kortnth.
nicht nach Olympia. Wenn «Dion also dem Julian bei Abfassung der erwähnten Stelle nicht vorlag« (Prächicr)
so konnte der Kaiser die Notiz sehr wohl aus einem von dem Rheior in seinem gros«;en Werke mitgeteilten Briefe
des Kynikers an den König entnehmen, zumal da er unmittelbar darauf ein Schreiben des Philosophen an Archidamos
citiert (p. 275,21 ff.). Vgl. auch in diesem Zusammenhange die Würdigung Alexanders bei Julian or. i p. 57,5 ff.,
epist. 59 p. 575.1 fT,.
^) Vgl. Gregorios Naz. invect. i in Jul. col. 569 B. a. a. O., wo es von den griechischen Philosophen
heisst, ihnen zufolge »müsse sich Philosophie und Herrschaft decken«.
25
In den Caesares wird das Ideal des philosophischen Königs und des königlichen
Philosophen im einzelnen durch die Gestalten des Oktavian, Trajan und Mark Aurel
veranschaulicht, da diese Herrscher bei der Prüfung ihrer Gesinnung besonders ihre Liebe zur
Philosophie betonen. Man kann daher in ihnen nach dieser Seite hin Abbilder des Herakles
und Julian zugleich erblicken: Oktavian (vgl. o. p. 19 ff.), der Liebling des ApoUon (p. 397,13),
wird in der Schule des Zenon (p, 397,15) aus einem schlechten zu einem guten Herrscher
gemacht und rühmt sich p. 418,26 ff. nachdrücklich seiner hohen Achtung vor der Philosophie,
frajan thut p. 421,15 ff. das gleiche und nimmt, wie schon oben p. 23 bemerkt, p. 43,16 nach
erfolgter Apotheose seinen Platz gemeinschaftlich mit Alexander bei Herakles ein. Mark Aurel,
der »untadlige (p. 428,2) Stoiker (p. 421,21)«, geht preisgekrönt aus dpm Wettkampf hervor
(p. 428,5 ff.) und vereinigt sich mit Zeus und Kronos (p. 431,3 ff.; s. o. p. 22).
Diese allmähliche Vertiefung und Verdeutlichung des schon bei Dion schwach ange-
deuteten Gedankens, dass der Herrscher auch ein Philosoph sein solle, wird in der siebenten
Rede Julians und in seinen Caesares auch noch dadurch bewirkt, dass die bei dem Rhetor
noch alleinstehende Allegorie von Herakles am Scheidewege mit dem Dionysosmythos
in eine mehr oder weniger innige Beziehung gesetzt wird, deren Spuren, soweit solche in dem
Mustermythos zu Tage treten, wir bereits oben p. 6. 11,4 nachgewiesen haben. In dem Abriss
erklärt der Kaiser p. 283,23 ff., dass diejenigen, welche sagten, »Dionysos sei zwar ein Mensch,
da er von Semele geboren wurde, er sei aber durch seine Theurgie*) und seine Mysterien
wie der Gebieter Herakles durch seine königliche Tüchtigkeit von seinem Vater Zeus zum Gott
erhoben worden«, den Dionysosmythos nicht richtig verständen, da der Held dieser Sage von
Anfang an reiner Gott sei, während Herakles noch manches von der menschlichen Natur an
sich habe (vgl. Dion p. 14,16). Dionysos sei nach dem Ratschluss des Zeus (p. 286,15) an
der Spitze eines Heeres von Dämonen (p. 285,20 ff.)*^) als sichtbarer Gott aus Indien kommend
bei den Menschen erschienen, um diese aus dem nomadischen Zustand in einen gebildeteren
zu versetzen und sie durch seinen Kult zu vervollkommnen (p. 287,21 ff.). Der von Semele
vorher verkündete, nicht geborene (p. 286,9 ff.; 285,2 ff.) Gott ist mithin nach der ausgesprochen
neuplatonischen (s. p. 288,3 ff.) Vorstellung Julians neben dem die Spuren der Menschlichkeit
erst nach und nach abstreifenden Sohn der Alkmene, das wahre, von allem Menschlichen los-
gelöste, göttliche Ideal eines philosophischen Herrschers. Er ist gewiFsermassen ein potenzierter
Herakles, in dessen Persönlichkeit die Vervollkommnung eines von den rein praktisch-
philosophischen Kynikern geschaffenen Typus durch die mystisch- theurgischen Zuthaten der
Neuplatoniker versinnbildlicht wird. Man hat daher an den Stellen des Mustermythos und der
Caesares, wo dieses Ideal ohne einen bestimmt nachweisbaren Anklang an Dion gestreift wird,
jeweils die Wahl, ob man anstatt an die schwachen Andeutungen in der Heraklessage nicht
lieber an den Dionysosmythos denken soll,
Dionysos hat der eben mitgeteilten Auffassung Julians entsprechend in den Caesares
seinen Platz unter den Göttern, zu denen ja auch sein Doppelgänger Herakles entrückt ist^
unmittelbar neben seinem Vater Zeus (p 396,13 ff.) und ergötzt sich an den witzigen, aus
1) Vgl. Burckhardt, der a. a. O. p. 99 von Dion sagt, er sei »noch frei von aller Mystik und Thenrgie«
*) Julian wurde auf seinem persischen Feldzuge nach Grcgorios von Nazianz von einem Heere von Dämonen, nach
Libanios von einer Schar von Göttern begleitet. Vgl. Zeidler a. a. O. p. 44.
4
26
Scherz und Ernst gemischten (s. p. 398,5 ff.; 404,19 ff.) Reden Silens, der »wie ein Pfleger
und Erzieher« neben ihm sitzt. Er wundert sich p. 404,13 ff., dass dieser, »sein Väterchen«,
wie er ihn p. 398,6 ff.; 404,14 nennt, sich sogar zu philosophischen Sätzen aufschwingt, worauf
Silen sich rühmt, ihn zum Philosophen herangebildet zu haben, und sich sogar mit Sokrates
vergleicht. Er lässt, damit der Wettstreit der Kaiser nicht »unvollständig (p. 408,8)« bleibe,
auch den von den Göttern abgefallenen Konstantinus rufen (p. 408,15 ff.) und weist ihm an
der Schwelle des Vorplatzes seinen Standort an. Endlich bezeigt er in der Prüfung, welche
Silen mit den Heroen vornimmt, speciell für die der Philosophie ergebenen, Alexander (p.
425,15 ff.) und Mark Aurel (p. 427,19 ff.; vgl. p. 421,20), ein lebhaftes Interesse. Man sieht
hieraus, seine Rolle in den Caesares passt vorzüglich zu der Vorstellung, die man sich nach
dem Abriss von ihm machen muss: Dieser Dionysos ist ebenso wie seine teilweise Kopie in
dem Mustermythos (s. o. p. 6) unseren bisherigen Ausfuhrungen zufolge ohne . Zweifel
Julian selbst.
Wer verbirgt sich aber dann hinter dem Silen? Offenbar der bedeutendste und
vertrauteste Lehrer des Kaisers in der Philosophie, dem dieser geradezu seine philosophische
Ausbildung zu verdanken hat. Im Mustermythos ist der Held p. 300,16 noch »nicht einge-
weiht« und soll p. 300,17 erst nach seiner Rückkunft auf die Erde »eingeweiht werden (s. o.
p. 24)«. Derjenige wird also mit dem Silen identisch sein, der sich bei Julian dieser Aufgabe
unterzog. Der Kaiser weist auch unmittelbar nach dem Mustermythos p. 304,24 (305,11 ff.)
auf diese Persönlichkeit hin, leider aber, seiner Gewohnheit gemäss^), ohne einen bestimmten
Namen zu nennen. Er sagt hier von ihm: »Ich gelangte zu der Vorhalle der Philosophie,
um von einem Manne eingeweiht zu werden, der nach meiner Ueberzeugung alle meine
Zeitgenossen überragt. Der aber lehrte mich vor allem Tugend üben und glauben, dass
die Götter uns zu allem Schönen anleiten«. Mit diesem »philosophischsten (p. 305,13 ff.)<i
Tugendlehrer und Mystiker (beachte die Ausdrücke »einweihen« und »Vorhalle der Philosophie«)
kann aber nur Maximus von Ephesos gemeint sein^), welcher, obgleich ein Neuplatoniker,
sich doch (nach epist. 38 p. 535,19 ff.) in seinem Aeusseren als Kyniker gab, was mit seiner
Betonung der praktischen Tugendlehre auch recht gut übereinstimmt*). Von seinem Schüler,
dem durch seine Theurgie und seine Mysterien berühmten (s. o. p. 25) Dionysos haben wir
oben p. 25 bereits gesehen, dass er gewissermassen als die Verkörperung der durch die neu-
platonische Spekulation ergänzten und vervollkommneten praktischen Tugendlehre des Kynismus
angesehen werden kann, und dass man somit, wenn man vom Schüler auf den Lehrer schliessen
darf, keinen passenderen finden könnte als einen kynisierenden Neuplatoniker vom Schlage
des Maximus von Ephesos, den Eunapios in erster Linie als Theurgen schildert Es fragt
sich nun bloss, ob auch das Bild, das der Kaiser in den Caesares von dem Silen entwirft,
diesem Manne ähnlich sieht. Dass er ein Philosoph ist, sagt er selber (s. oben), dass
er ein Kyniker ist und sein soll, wissen wir aus Dion, dessen Diogenes ihm zur Vorlage ge-
dient hat (s. o. p. 20): Er wird aber auch durch sein ganzes Reden und Gebaren als solcher
*) Vgl. Wyttenbach, »Epist. crit.« a. a. O. p. 23} ff. S. auch o. p. 21. *) Vgl. »A. Enc.« ; Neander
p. 55 denkt fälschlich an Chrysanthios. Vgl. auch Scheler a. a. O. p. 22 ff. *) Vgl. Nävi 11 e, »Julien L'apostat
etc.« Paris 1877 p. 5},
27
gekennzeichnet, und zwar als ein kynischer »Spudogeloios (vgl, p. 404,19 ff.; 398,5 ff.)* ^^
allen Eigentümlichkeiten dieser Gattung*): Scherzhafte Dichtercitate (p. 398,4; 398,19; 402,22
ff.; 425,13 ff.: Euripides; vgl. o. p. 14,1), Parodien (p. 403,1: vgl. o. p. 20), den Kynikern
geläufige moralische Vorwürfe (p. 403,1; 420,15), Verspottung der dogmatischen Philosophen
(p. 424,13 ff.; 421,20 ff.), kynische Vergleiche (p. 404,4 ff.) und die häufige Verwendung von
Sprichwörtern (p. 401,3 ff.; 423,11) drücken seiner Physiognomie diesen Stempel auf. Wenn
er sich p. 404,15 ff. als »Spudogeloios« sogar mit Sokrates vergleicht, der ihm »ähnlich ge-
sehen und den ersten Preis in der Philosophie unter seinen Zeitgenossen davongetragen
habe«, so wird zunächst durch diese Gleichstellung mit diesem Philosophen unsere
Identifizierung des Silens mit dem anonymen Lehrer Julians in der siebenten Rede
gerechtfertigt; dann aber werden wir durch diese Parallele daran erinnert, dass der Kaiser
or, 6 p. 242,7 ff. den in Piatons Symposion vorkommenden Vergleich des Sokrates mit dem
Silen geradezu auf den Kynismus anwendet, von dem er im folgenden ein specifisch neu-
platonisch gefärbtes Bild entwirft^). Man sieht, Maximus, der bedeutendste Neuplatoniker zu
Julians Zeit, soll zu einem Sokrates des vierten Jahrhunderts gemacht werden, und zwar seinem
Wesen entsprechend zu einem kynischen Sokrates, ein Synkretismus, der umso eher begreiflich
ist, als Julian ohnehin den Weisen von Athen, wahrscheinlich durch Dion mit veranlasst
(s. o. p. 14,4), in kynischer Beleuchtung zu sehen gewöhnt ist (vgl. or. 8 p. 314,19; 312,22 ff.;
or. 6 p. 247,19 ff.; epist. ad Themist. p. 342,14 ff.). Dass der platonische Vergleich dem
Kaiser auch in den Caesares vorschwebt, wird schon durch den dem Symposion nachgebildeten
Doppeltitel der Satire: »Symposion oder Kronia« nahe gelegt, dann aber vor allem durch
das Verhältnis des Dionysos zu Silen, das eine offenbare Kopie desjenigen ist, in welchem
Alkibiades') und Sokrates zu einander stehen. Erwägt man schliesslich noch, dass ja die
Caesares aller Wahrscheinlichkeit nach dem Neuplatoniker Sallustius gewidmet sind (s. o. p.
21), so stimmt es auch hiezu recht gut, wenn darin dem grössten gleichzeitigen Vertreter
dieser Lehre von seinem kaiserlichen Schüler und Freunde ein Denkmal gesetzt wird.
Die Hauptaufgabe des Silen ist die Prüfung der Heroen: Er trägt somit wesentlich
zur Darstellung des philosophischen Herrscherideals bei, das ja, wie wir gesehen haben, in
den Caesares in den Halbgöttern Herakles und Dionysos seine mythologischen Vertreter
findet. Diese zweifache Versinnbildlichung kehrt nun bei Julian noch an einer andern Stelle
wieder, und zwar in einem Zusammenhange, welcher die Quelle dieser Kontamination deutlich
verrät: In dem ausführlichen > Briefe an Themistios (/>. J28,i Jf.)« behandelt der Kaiser nämlich
ebenfalls das Thema »von der Königsherrschaft« und sagt p. 328,18 ff., Themistios habe ihm
durch seinen letzten Brief den Wettstreit mit seinen idealen Vorbildern Alexander und Mark
Aurel (vgl. o. p. 22) noch viel schwerer dargestellt, indem er ihm geschrieben habe, »er sei
von der Gottheit auf den Posten gestellt, auf welchem vor Zeiten Herakles und Dionysos
gestanden hätten, welche Philosophen und Herrscher in einer Person gewesen seien und fast
die ganze Erde und das Meer von der überhand nehmenden Schlechtigkeit gereinigt hätten
*) Vgl. die sehr gehaltvolle »Pr^face« S p a n h e i ni*s »sur les Cisars de Julien, etc.« in seiner o. p. 21,1
genannten französischen Ausgabe und Wachsmuth*, »De Timone Phliasio« p, 66 ff. (Corpusc. poes. cpic.
ludib. fasc. II). ^) S. »A. Greg.« p. 529. ^) Eine eigentümlich kynisierende Anerkennung des Alkibiades 6ndet
sich bei Julian or. i p. 15,18 ff Vgl. Plutarch. »Quomodo adulaior etc.« p 52 E ff.
28
(Vgl. Mustermythos p. 297,9 ff.; 300,17 ff.; 303,18 ff.)«. Da uns nun nichts hindert, den Brief
Juh'ans an den Philosophen früher anzusetzen als die Caesares, und derselbe sicherlich vor der
siebenten Rede verfasst ist*), so wird es wohl Themistios gewesen sein, der den Kaiser auf
den Gedanken brachte, bei der allegorischen Behandlung des Themas »von der Königs-
herrschaft« über den ihm, wie seine 22. Rede zeigt, gleichfalls sehr wohlbekannten antisthenisch-
dioneischen Heraklesmythos^ hinauszugehen und dasselbe durch Beiziehung der Dionysossage
zu vertiefen. In dem Schreiben selbst geht Julian nicht weiter auf diese beiden Mythen ein.
Nur an einer Stelle p. 341,21 ff, streift er die Heraklessage, und zwar, wie es scheint, die
dioneische Darstellung derselben, indem er sagt, »Herakles sei in allem am meisten selbst-
thätig gewesen«, eine Bezeichnung, die auch bei dem Rhetor or. i p. 14,4 schon vorkommt').
Auch insofern berührt sich der Kaiser in diesem Briefe wenigstens mittelbar mit Dion,
als er hier p. 334,4 ff. einen Passus aus Piaton, Legg. IV p. 713 C ff. zitiert, in welchem der
Philosoph (s. Jul. p. 334,10 ff.) von dem bekannten Vergleich des Herrschers mit dem Hirten
Gebrauch macht. Diese Platonstelle ist jedoch für uns besonders deswegen interessant, weil
sie von dem »alten Mythos« von Kronos handelt, der gute Dämonen zu Herrschern über die
Menschen einsetzt, und weil sie zu dem Schlüsse kommt, die Herrscher müssten das Lehen
unter Kronos nachahmen. Man braucht sich hiebei nur daran zu erinnern, dass der Mitunter-
redner in dem Prooemium der Caesares p. 393,17 ff. erklärt, er liebe in Uebereinstimmung
mit Julian und ihrem gemeinsamen Freunde Piaton die richtig gebildeten Mythen, da ja auch
dieser Philosoph manches Ernste in Mythenform gekleidet habe, und man wird überzeugt
sein, dass eben diese den Kronosmythos behandelnde Stelle dem Kaiser die Grundidee zu
seinen »Kronia« (Caesares) eingegeben hat*), zumal da sich auch sonst noch manche Be-
*) S. Schwarz a. a. O. p. 10. 19. *) Uebcr die Bekanntschaft des Themistios mit Dion vgl. Bücheier
a. a. O. p. 451; Welcker, »Opusc.« II p. 488 ff.; Weber a. a. O. p. 248,4. ») Hiezu stimmt es, wenn Julian im
Misopogon p. 464,6 von seiner »Selbstbethätigungc als Mann unter den Kehen und Germanen spricht. S. u. p. 29.
*) Derselbe Zusammenhang ist wohl auch für die verlorenen »Kronia« (s, Schwarz a. a. O. p. 9. 19)
anzunehmen, welche (nach or. 4 p. 204,4 ff») wahrscheinlich ein der vierten Rede verwandtes Thema behandelten.
Da in dieser nun »die dreifache Schöpferthätigkeit des Gottes (Helios)« erörtert wird, so könnte diese neuplatonische
Lehre in dem verloreneu Werke vielleicht durch den Kronosmythos in der Weise illustricn worden sein, dass
zunächst wie in der vierten Rede die drei Erscheinungsformen der Gottheit auseinander abgeleitet und dann haupt-
sachlich die dritte, das heisst die Offenbarung des Kronos in der sichtbaren Welt, geschildert wurde. Dann hätte
der Kaiser also »das Leben unter Kronos« oder das »goldene Zeitalter« ausgemalt: Es wäre hinter dem Titel
eine allegorische Schilderung der durch Julians Idealherrschaft zu schaffenden Zustände zu suchen. Die Erneuerung
des goldenen Zeitalters ist aber ein specifisch kynisches Thema (s. Weber a. a. O. p. 10 j. ny ff.), indem die
Schüler des Antisthenes dieses Ziel durch die Befolgung ihrer praktisch-philosophischen Grundsätze anstrebten, wie
dies u. a. auch aus Dion zu ersehen ist. Ueber eine derartige Vermengung neuplatonischer Theologie mit kynischcr
Ethik, wie sie nach dem Gesagten in den »Kronia« anzunehmen wäre, braucht man sich umso weniger zu wundem,
als diese Erscheinung ja, wie wir gesehen haben, auch in dem Mustemiythos zu Tage tritt. Das einzige Fragment,
das uns noch von der Schrift erhalten ist, nennt beiläufig den Philosophen Jamblichos (p. 609,12 ff.) und würde
somit dem neuplatonischen Teile derselben zuzuzählen sein ; wir besiuen aber vielleicht noch ein anderes, das hiehcr
gehört: Den von Suidas überlieferten Titel : »Ueberdie drei Formen«. Könnte nicht das von Julian am Schlusseseiner
vierten Rede erwähnte Werk einen Doppeltitel gehabt haben, wie ja auch die erhaltenen Kronia einen solchen führen? Die
Schrift hätte dann gcheissen: »Kronia oderüberdiedreiErscheinungs formen der Gottheit«. Wenn die gegebene Deutung
und Kombination dieser beiden Titel richtig ist, dann ist es nuch leicht begreiflich, warum wir es nicht mehr
besiuen. Dann diente das Werk eben mit seinem theologisch-dogmatischen Teile der neuplaionischen Propaganda
29
Ziehungen zwischen dem Briefe an Themistios und den Caesares nachweisen
lassen: Um von der bereits durch Themistios vermittelten Uebereinstimmung bezüglich der
Herakles- und Dionysossage und der an beiden Orten absichtlich zur Schau getragenen Nach-
ahmung Alexanders und Mark Aureis zu schweigen, ist hier besonders zu beachten, dass die
Götter in den Caesares p. 423,21 fif. glauben, sie müssten »die Gesinnungen der Herrscher ans
Licht ziehen und die P-ntscheidung über die Preisverleihung nicht bloss von ihren Thaten
abhängig machen, da ja hie von die Glücksgöttin sich den grössten Anteil zueignete und gegen
sie alle Beschwerde führte (vgl. p. 415,20 fF.)^)«. Denn Julian betont auch in dem Briefe an
seinen Lehrer p. 331,6 ff., wie schwer es sei, hinsichtlich der Herrscherthaten guten Muts zu
sein^ »über welche nicht bloss die persönliche Tüchtigkeit oder rechte Gesinnung entscheidet,
sondern vielmehr das Glück*), das überall herrscht und die Verhältnisse zwingt, sich dahin
zu neigen, wohin es will (vgl. or. i p. 5,16 ff.; 30,10 ff ; 55,17 ff.)«. Ebenso stimmen die sich
hieran anschliessenden Bemerkungen über die stoische Eudaimonistik (p. 331,11 ff.) im Prinzip
mit der gutmütigen Ironie überein, mit welcher Silen in den Caesares p. 421,21 ff. ; 428,11 ff.
den Stoicismus behandelt (s. o. p. 27). Auch der Schluss des Schreibens fordert zu einem
Vergleich mit der Satire heraus, indem der Kaiser hier p. 345,16 verspricht, »er wolle nicht
unter die Thaten anderer seinen Namen setzen«; denn Alexander macht dort p. 415,3 ff. dem
Pompeius den Vorwurf, sein Name sei unter die Erfolge eines Crassus und Lucius gesetzt
worden, und rühmt p. 415,11 ff. den Marius, Scipio^) und Camillus, dass sie »nicht unter fremde
Thaten ihre Namen schrieben«. Wenn der Kaiser im Anschluss hieran p. 415,15 ff. sein
Vorbild (Alexander) sagen lässt, diese Männer seien »selbst Baumeister und Werkleute« gewesen
und hätten deshalb »Verdientermassen die herrlichsten Beinamen erhalten«, so adoptiert er
hier mit dieser Erklärung die von Themistios in seinem Briefe (s. p. 341,6 ff.) vertretene Auf-
fassung der Aristotelesstelle Pol. VII 3 p. 1325 B, wonach diese sich auf die Herrscher selbst
bezöge, während sie, wie Julian (p. 341,12 ff.) nachzuweisen sucht, nur auf die politischen
Theoretiker geht. Endlich treffen die beiden Schriften noch im Gebrauch eines Bildes zu-
sammen, indem Julian in dem Briefe an Themistios p. 330,6 ff. seine Zukunft mit dem Zustand
eines Seemanns vergleicht, der nach langer, gefahrvoller Fahrt die Gottheit bittet, ihn »am Ende
seines Lebens einen Ankerplatz finden zu lassen«, ein Wunsch, dessen Erfüllung ihm Hermes am
Schluss der Satire p. 432,3 ff. mit den Worten in Aussicht stellt: »Halte dich an die Gebote
(des Mithras), denn dadurch verschaffst du dir im Leben . . . einen sichern Ankerplatz«
(Vgl. o. p. 22).
Der Gedanke von der Nachahmung der Götter durch den Herrscher, von welchem
der Brief an Themistios ausgeht, findet auch noch in dem sogenannten »Fragmentum epistolac
und war in diesem Sinne gegen die christliche Trinitätslehre gerichtet. S. auch Gregorios Naz. or. }i col. 152 A
(t. 56 beiMigne) und Theodoretos, Graec. affect. cur. III col. 872 C ff. (t. 83 beiMigne). Der Beifall, den Sallustius (s. or.
4 p. 204,7 ^') ihm spendete, kann unserer Vermutung nur als Stütze dienen (vgl. o, p. 15 ff.). Trifft diese aber
das Richtige, so hatten die Christen ein berechtigtes Interesse, eine solche Schrift zu vernichten. Vgl. o. p. 11,4.
M »Dass sie ihr zu danken vergessen haben«, bemerkt hiezu erläuternd C a u e r, »Ueber die Caesares des
Kaisers Julianus Apostata« Progr. Bresl, 1856 p. 5. *) Von der Allgewalt der Tyche handeln auch die unter
Üions Namen gehenden orr. 63. 64. 65, worunter namentlich die 64. mit Julian epist. ad. Them. p. 331,6 ff. zu
vergleichen ist. S. auch Rohde a. a. O. p. 280,5. ') Ein Beispiel, wie Julian dem Scipio nacheiferte, bietet
Ammianus XXIV 2^14 ff. (vgl. Kellerbauer a. a. O. p. 28**); s. auch XXIV 4; XXV 4, (vgl. Strauss a. a. O. p. 49).
30
(P- 37^ ff'h ^*"^ eingehende Behandlung. In diesem Schriftstück, worin der Kaiser in seiner
Eigenschaft als Pontifex Maximus die religiöse Seite seiner Herrscheraufgabe beleuchtet*),
wird p. 372,8 ff. in Uebereinstimmung mit Dion or. i p. 8,25 ff. die Forderung der Nach-
ahmung der Götter aufgestellt, und zwar bedient sich Julian hiebe! zur Begründung des Gebotes
der Menschenfreundlichkeit p. 372,11 ff. eines Gleichnisses, das sich auch bei dem Rhetor
p. 10.6 ff. vorfindet. Denn wenn dieser schreibt: >Wie unter den Sklaven diejenigen, welche
in dem Gegenstand ihrer Freundschaft, ihres Eifers und ihrer Liebe mit den Herren über-
einstimmen, mehr als ihre Mitsklaven geliebt werden, ebenso muss man auch von der Gott-
heit, da sie menschenfreundlich ist, glauben, dass sie die Menschenfreundlichkeit unter den
Menschen liebt«, so sind diese Worte sicherlich folgender Ausführung Dions nachgebildet:
»Wie unter allen Feldherm und Befehlshabern über Heere, Städte und Völker derjenige, der
deinen (des angeredeten Trajan: s. o. p. 23) Charakter am meisten nachahmt und sich offen
deinen Sitten möglichst anschliesst, dir wohl der vertrauteste und liebste sein möchte, wenn
aber einer eine entgegengesetzte und unähnliche Art zeigte, dieser wohl mit Recht Tadel und
Geringschätzung ernten würde und wohl gar seines Amts entsetzt andern besser veranlagten
und besser amtierenden Platz machen müsste, so wird auch unter den Herrschern, da diese
meiner Meinung nach ihre Macht und ihr Wächteramt von Zeus erhalten, demjenigen, welcher
im Hinblick auf diesen nach dem Gesetz und der Satzung des Zeus gerecht und gut herrscht
und regiert, ein gutes Loos und ein glückliches Ende zuteil. Wer aber dem zuwider handelt,
der ihn mit diesem Geschenke betraut hat, und ihn nicht ehrt, der hat von seiner grossen
Gewalt und Macht keinen andern Gewinn als den, dass er allen seinen Zeitgenossen seine
Schlechtigkeit und Zügellosigkeit offenbart: Er erfiillt das Loos des Phaeton in der Sage,
als er, obgleich kein tauglicher Wagenlenker, gegen das Geschick den starken und göttlichen
Wagen bestieg«^). Dass Julian an der angegebenen Stelle von Dion abhängig ist, wird da-
durch um so wahrscheinlicher, als der von dem Rhetor angewandte mythologische Vergleich
uns an eine andere Beziehung zwischen den beiden Schriftstellern erinnert. Denn wenn es im
zweiten Panegyrikos p. 107,14 ff von dem schlechten, bloss auf äussere Macht und Pracht
sich stützenden Herrscher heisst: »Ein solcher hat kaum die Zügel in die Hand genommen,
so wird er in die Luft geschleudert, gerade so, wie es dem Phaeton im Mythos ergeht (vgl.
Jul. or. I p. 44,12 ff.)«, so ist dieser Vergleich nachweisbar*) auf Dion zurückzuführen, und
Julian verwertet ihn sogar noch einmal in dem dritten Panegyrikos, in dem er p. 157,22 ff.
in demütiger Bescheidenheit seine eigene Unfähigkeit zur Bekleidung der Caesarenwürde damit
veranschaulicht. So erst begreift man den Aerger vollständig, den ihm der Pseudokyniker
Herakleios bereiten musste, als er ihm in seiner Gegenwart vor einem grossen Publikum unter
andern auch einen satirischen Mythos vortrugt), in welchem »der König Helios« und Phaeton
vorkamen (s. or. 7 p. 265,10 ff.; 269,22 ff)'*). Denn man braucht bloss an Julians vierte Rede
*) Uebcr Form und Inhalt und Verhältnis dieser interessanten Schrift zu den übrigen Werken Julians vgl.
»A. Enc«. «) Vgl. »A. Enc.« ') S. Frachter a. a. O. p. 47- *) S. Weber a. a. O. p. 114 ff. *) Wenn es
or. 7 p. 264,7 ^- heisst: »Wir haben einen Hund . . . wie die Ammen Mythen singen hören«, so ist damit Dion
or. 4 p. 77,17 ff. zu vergleichen: »(Diogenes) erzählte (den Mythos) . . ., um ihn (den Herakles) zu trösten, wie
die Ammen den kleinen Kindern, wenn sie sie geschlagen haben, zam Trost und Gefallen dann einen Mythos erzählen
Derselbe Vergleich der Mythenerzähler mit den Ammen findet sich noch Jul. or. 7 p. 267,17 ff.
31
und an den Mustermythos zu denken, um einzusehen, dass der mit den Galiläern im Bunde
stehende Gegner des Kaisers^) mit der Figur des Phaeton niemand anders als ihn selbst,
»den Sohn des Helios (s. p. 297,17 ff.)«, meinen konnte.
Doch kehren wir zurück zu Julians Brieffragment I Der Kaiser fuhrt hier aus,
die Götter müssten den Menschen als Vorbilder der Menschenfreundlichkeit dienen, und beruft
sich bezüglich der Pflicht der Fürsorge für die Frenr^den, die, wie alle Menschen überhaupt,
von ihren Nebenmenschen unterstützt werden sollten, p. 374,22 ff. auf die Verehrung des Zeus
Xenios, für das Gebot der Nächstenliebe p. 375,3 ff. auf den Kult des Zeus Hetaireios und
für die Verwandtschaft aller Menschen p. 37S,io ff. auf Zeus Homognios. Ganz dasselbe
thut aber auch der Rhetor p. 9,6 ff. 17 ff.; 9,5. 13 ff.; 9,5. 12 ff., und sogar die von Julian
p. 374,10 ff. »paradox« genannte Forderung der Feindesliebe ist bei diesem p. 9,15 schon vor-
bereitet, wenn hier der Satz aufgestellt wird, der wahre Herrscher müsse den Zeus Philios
und Hetaireios nachahmen, welcher »alle Menschen zusammenfuhrt und wünscht, dass sie
einander freundlich gesinnt seien, und keiner den andern weder im Privatleben noch mit den
Waffen in der Hand anfeinde«. Schliesslich geht auch p. 383,11 ff. (vgl. epist. 63 p. 586,1 ft.)
die Versicherung der guten Hoffnungen, welche der priesterliche Herrscher, wenn er ein wahrer
Nachahmer der Götter ist, in diesem wie im jenseitigen Leben hegen darf, auf Dion zurück,
der, wie wir bereits oben p. 9 sahen, seinem Idealherrscher p. 10,18 ff. dieselben Aussichten
eröffnet (vgl. Mustermythos p. 303,3 ff.; Caesares p. 432,5 ff.). Aus dem Gesagten geht
somit hervor, dass das grosse Brieffragment in den genannten Partien nichts weiter ist als
eine freie Bearbeitung desjenigen Teils der ersten dioneischen Rede, welcher (von p. 8,23 an)
»von dem grössten und ersten König und Gebieter« handelt, den die sterblichen Herrscher
nachahmen sollen (vgl. or. 36 p. 57,7 ff.; 58,24 ff.).
Würde nicht der ganze Zusammenhang auf dieses Werk des Rhetors weisen, so
könnte man nach Julians Worten p. 375,6 ff.: »Ich sehe, wie die Benennungen der Götter
zugleich mit der Welt von Anfang an gleichwie gemalte Bilder vorhanden sind«, bei dieser
Stelle des grossen Briefiragments auch an eine Entlehnung aus der zwölften Rede Dions »vom
ersten Gottesbegriff «2) denken, wo Pheidias p. 236,31 ff. erklärt, er habe bei seinem
Zeusbilde alle Benennungen des Gottes in entsprechender Weise versinnbildlicht. Darauf zählt
er in fast wörtlicher Uebereinstimmung mit der ersten Rede (p. 9,3 ff.) ganz dieselben Epitheta
des Zeus auf und erklärt sie im einzelnen. Dass der Kaiser die zwölfte dioneische Rede
kannte, unterliegt keinem Zweifel; denn die Gedanken, die darin ȟber den ersten Gottes-
begriff« vorgetragen werden, kehren eben in unserem Brieffragment unverkennbar wieder.
Dion unterscheidet hier nämlich zunächst eine natürliche und eine erworbene Gottesidee (p.
225,9 ff)- F^r den natürlichen Ursprung derselben weist er p. 221,8 ff.; 225,9 ff; 228,9 ff.
erstens auf die Uebereinstimmung aller Menschen in diesem Punkte und zweitens p. 221,16 ff.;
232,23 ff. auf die Betrachtung des Himmels und die Erkenntnis der an diesem zu Tage tretenden
sichtbaren Götter hin. Bei der erworbenen Gottesidee stellt' er sodann p. 225,21 ff. einen
vierfachen Unterschied fest, wonach sie in eine von den Dichtern freiwillig gebildete, eine
von den Gesetzgebern aufgenötigte, eine durch die Künstler (p. 227,3 ff.) versinnbildlichte
*) S. hierüber »A Greg.« p. 3 34 ff. und »A. Coh.« p. 131,1. ') Uebersetzt von Stich a. a. O. p. 28 ff.
3g
und eine von den Philosophen (p. 228,8 ff.) zum Ausdruck gebrachte zerfallt. Nun enthält
das grosse Brieflfragment Julians p. 376,25 ff. einen Abschnitt über »die Werke der Frömmig-
keit«, worin sich, wenn auch nicht in derselben Folge, doch ganz genau dieselbe Aufzählung
der für die Gottesverehrung massgebenden Faktoren und eine übereinstimmende Kritik ihrer
relativen Bedeutung nachweisen lässt. Es ist hier nämlich p. 376.26 ff ; 377,22 ff. in erster
Reihe von dem an und für sich vorhandenen frommen Götterglauben die Rede (vgl. D. p.
221,8 ff.; 225.11 ff.; 226,10; 227,4; 228,8 ff.). Dann wird p. 377.10 ff.; 379,7 ff. auf die Ge-
stirne als sichtbare Götter und von den Unsichtbaren geschaffene Versinnbildlichungen ihrer
Existenz aufmerksam gemacht (vgl. D. p. 221,19 ff. 16 ff.; 232,23 ff.). Weiterhin .spricht der
Kaiser p. 378,3; 380,15 ff. von der Gottesverehrung »durch Worte« und nennt als »Lehrer
der Worte über die Gottheit« die Dichter (vgl. D. p. 225,18. 23 ff. 29; 226,1. 13; 227,4 ff.
27; 228,12). Als solche sind sie, wie p. 380,3 der Vergleich mit den jüdischen Propheten
zeigt, »Verkünder und Deuter der Worte über die Gottheit« (vgl. D. p. 228,11 ff.; 225,29 ff.)«,
v;orunter nach p. 386,3 ff.; 380,13 ff. vor allem die Göttermythen zu verstehen sind (vgl. D.
p. 226,20 ff.; 233,6 ff.). Nach den Dichtern kommen p. 378,5 ff. die Geset7geber in Betracht,
weil sie den Menschen die »Gottes Verehrung durch Werke« auferlegen (vgl. D. p. 225,19 ff.
25. 30; 226,1. 14; 227,5. 27; 228,12). Ferner werden p. 377,4 ff. 15 ff.; 378,26 die »irdischen
Götterbilder und Idole« den himmlischen als »Symbole der Gegenwart der Götter« gegenüber-
gestellt (vgl. D. p. 227,5 ff.; 228,12 ff.; 232,10 ff.). Endlich wird p. 385,20 If. nachdrücklich
betont, dass die Lehren der Philosophen die weitaus beste Quelle der Gotteserkenntnis und
den Dichtermythen vorzuziehen seien (vgl. D. p. 228,13 ^f). Julian hat also offenbar in dem
grossen Brief fragment die Rede Dions »vom ersten Gottesbegriff« stark benützt.
Allein nicht nur hier. In seiner berühmten »Galiläerschrifi«^ in welcher der Kaiser als
geistliches Oberhaupt des Römerreichs sich für die hellenistische Staatskirche durch die kritische
Widerlegung ihrer Hauptgegner zum Defensor fidei aufwirft, untersucht er p. 42 E. ff. in aller
Kürze, »woher und auf welche Weise wir Menschen zuerst zur Gottesidee gelangt sind')«. Er
behandelt also hier genau dasselbe Thema wie der Rhetor, und zwar fast mit denselben Worten:
Er hebt p. 52 B. zunächst hervor, »dass der Mensch die Gotteserkenntnis nicht erst durch
Unterweisung erworben hat (vgl. or. 7 p. 271,15 ff.)*)«, ein Gedanke, der auch bei Dion p.
221,11; 226,10 zum Ausdruck gelangt. Dann führt er aus, »der Mensch besitze die Gottes-
erkenntnis von Natur, wofür uns zunächst der allgemeine Zug der gesamten Menschheit zu der
Gottheit zeuge, wie er im Leben des Einzelnen und des Staates, beim Individuum und den
Völkern hervortrete«. Eben dieses behauptet aber auch der Rhetor an den schon oben an-
gegebenen Stellen fiir die natürliche Gottesidee: p. 221,8 ff.; 226,10; 225,9 ff»» 228,10. Im
weiteren Verlaufe stellt Julian »die Aussagen der Hellenen und Hebräer über die Gottheit
einander gegenüber (p. 42 E ; 43 A)« und wendet sich mithin von der Erörterung der natür-
lichen zur Betrachtung der erworbenen Gottesidee. Hier sind es nun zunächst p. 44 B ;
13s A ff. die Götterm)rthen der Hellenen, also die dichterischen Darstellungen namentlich
bei Homer, weche als Quelle der Gotteserkenntnis in Betracht kommen und ganz so wie
*) S. Neumann*s deutsche Uebersetzung (Leipz. 1880). ') S. hierüber van Herwerden a a. O. p
122 flf.; Schulze, »De Juliani philosophia et moribus« Progr. Sundiae 18^9 p. 9.
33
Dion p. 226,20 ff. eine ziemlich abfällige Kritik erfahren. Auch die Schwierigkeit des Ver-
ständnisses für die unwissende Menge, welche der Rhetor hier hervorhebt, wird von dem
Kaiser p. 52 B betont, wenn er sagt: »auch den Wissenden ist es nicht möglich, ihre Er-
kenntnis allen andern mitzuteilen«, und unter demselben Gesichtspunkt hat man es wohl zu
betrachten, wenn er p. 94 A bei den jüdischen Erzählungen von Gott noch die Möglichkeit
offen lässt, sie könnten »etwa Mythen sein, deren Kern eine mysteriöse Spekulation bildet^)«.
Die Uebereinstimmung Julians mit Dion zeigt sich schliesslich auch darin, dass er hier p. 96 C;
49 A ff. wie dieser über die Dichter hinaus zu den Philosophen, insbesondere Piaton, fort-
schreitet und diesen als die Quelle der wahren Gotteserkenntnis verwertet. Somit ergiebt sich
eine wechselseitige Verwandtschaft zwischen Julians grossem Brieffragment, seiner Galiläer-
schrift und Dions zwölfter Rede. Dieses Verhältnis ist jedoch keineswegs auffallend, da ja
nachge Wiesenermassen das Bruchstück zum Teil als eine Vorarbeit zu der Streitschrift des
Kaisers betrachtet werden muss*).
Kehren wir jedoch von dieser zu jenem zurück! Es findet sich hier p. 385,10 ff. eine
Auseinandersetzung »über die den Göttern schuldige fromme Scheu«, welche hauptsächlich
von der für einen gottesfürchtigen Mann sich eignenden Lektüre handelt. Diese Erörterung
berührt sich in ihrem Grundgedanken mit der siebenten Rede des Kaisers, indem hier p.
385>i3 ff- wie dort p. 265,6; 264,11 ff. das Anhören von gotteslästerlichen Vorträgen verpönt
und p. 385,15 ff. im Zusammenhang damit die ganze alte Komödie verdammt wird. Die
Rede bringt sogar eine besondere Abhandlung über das genannte Thema p. 306,20 ff. (vgl.
die Ankündigung derselben p. 265,1? ff.), mit welcher das Briefiragment insofern übereinstimmt,
als hier p. 385,22 ff. wie dort Pythagoras, Piaton und Aristoteles als Muster von Religiosität
gepriesen werden^). Der an den beiden Orten ausgeführte Grundgedanke ist von uns bereits
oben p. II auf Dions zweite Rede p. 32,5 ff zurückgeführt worden. Es kann jedoch gezeigt
werden, dass die Auseinandersetzung des Brieffragmentes auch in ihrem weiteren Verlaufe
aus eben dieser Quelle schöpft*). Denn wie der Rhetor p. 25,11 ff. von dem guten Herrscher
verlangt, er solle Freude an der Philosophie haben, so betont der Kaiser p. 385,20 ff, die
Schriften der Philosophen seien der passendste Lesestoff. Beide erklären, nicht jede Unter-
haltungslektüre sei zu billigen (D. p. 25,14 ff. J. p. 386,14 ff.^), beide verwerfen die erotische
Litteratur (D. p. 25,22 ff., 32.9 ff. J. p. 386,11) und die grobe Satire (D. p. 32,15 ff. J. p.
385,14) und beide empfehlen endlich aufs angelegentlichste die Götterhymnen (D. p. 25,20 ff.
J. p. 386,27; or. 7 p. 276,10 ff.; 277,1 ff.).
Dieser Abschnitt des grossen BriefTragmentes wendet sich in seinem negativen Teile
mit der Ablehnung der musikalischen Vorträge, der Spottreden, des unzüchtigen Umgangs /
mit Choristen, Tänzern, Mimen und Wagenlenkern (p. 385,13 ff.; 390,1 1 ff.) hauptsächlich gegen
den ßesuch der Theater (und des Orkus), vor welchen Vergnügungsanstalten Julian p. 389,21 ;
390,9. IG, 16 auch noch ausdrücklich warnt. Er geht nun aber auf dieses Thema noch an
einer anderen Stelle seiner Sclviften viel ausführlicher ein, wie dasselbe auch bei Dion noch
*) Ueber Julians Auffassung von den Mythen vgl. »A. Coh.« p. 131 ff. *) S. »A. Enc«. ») S. über
diesen Punkt »A. Coh.« p. 127 ff. *) Ueber die für einen Staatsmann schickliche Lektüre handelt Dion auch in
seiner 18. Rede »Ueber die Uebung in der Rede« (übersetzt von Stich a. a. O. p. 57 ff.), ohne dass sich jedoch
zwischen dieser und Julian eine Beziehung nachweisen liesse. *) Vgl. Rohde a, a. O. p. 549.
5
A ■ in tt ■ Dr., Jttli»D ud Dion Chr]rfOttoaM.
34
eine anderweitige eingehendere Erörterung erfahrt. Bei dem Kaiser geschieht dies in dem
»Aniiochtkos oder Misopogon^)«^ worin sich der Herrscher namentlich von der Seite des Volks-
belehrers zeigt. Dieser Satire auf die Eigenart der Antiochener entspricht bei dem Rhetor
nach Ton und Inhalt die Rede »an die Alexandriner (or. 32 p. 400 ff.)« so sehr, dass sie
allem Anschein nach von Julian teilweise benützt worden ist, wenn sich auch allerdings keine
wörtlichen Entlehnungen finden. Beide gehören zu der Gattung der sogenannten »Städte-
reden«, und in beiden wird in gleicher Weise der grossen Menge ihr ungehöriges Benehmen
ihrem Fürsten gegenüber mit herben und bittern Worten vorgehalten. Sowohl die Ale-
xandriner als auch die Antiochener hatten sich nämlich, anstatt für empfangene Wohlthaten
dankbar zu sein, masslosen Erwartungen hingegeben und dann, hierin getäuscht, Aufläufe ver-
anstaltet, wobei sie ihrem Unwillen ungescheut Luft machten^). Der Standpunkt, von dem
aus die beiden Redner zu dem Volke sprechen, ist somit derjenige des Moralphilosophen
(D. p. 403,27 ff. J. p. 463,10 ff.). Sie treten mit gesuchter Einfachheit und Schlichtheit vor
der Menge auf (D. p. 407,23. J. p. 435,2 ff.; 436,4 ff.; 449,20 ff.) und sagen ihr freimütig
die Wahrheit (D. p. 403,27 ff. J. p. 443.21 ff.; 461,2; 469,13 ff.), obwohl sie gewärtig sind
für ihre wohlwollende Absicht kein Verständnis, sondern nur Missdeutung zu erfahren (D. p.
401,21 ff.; 402,9 ff.; 403,29 ff.; 408,14 ff.; 435,3 ff. J. p. 469,15 ff). Beide sind sich bewusst,
dass ihr Publikum ihre Sittenpredigt nur ungern anhört (D. p. 400,6 ff.; 401,6 ff.; 402,12 ff.;
403,30 ff.; 407,2 ff. u. ö. J. p. 433,12; 445,9 ff- 454.22 flf.; 456,1 ff; 457,8; 458.1 ff. u. ö.).
weil es lieber Schmeicheleien entgegen nehmen und unterhalten werden möchte (D. p.
400.1 ff.; 407,5; 412,26 ff. J. p. 458,1 ff; s. u.) und bittere Vorwürfe nicht leiden kann (D.
p. 406,13 ff. J. p. 433,11; 443,21; 469,15). Hiemit hängt es wohl auch zusammen, dass sich
Dion wie Julian wegen der Wahl der schlicht- prosaischen anstatt der rhythmischen Dar-
stellungsform entschuldigen zu müssen glauben (D. p. 407,5; 413,14 ff. J. p. 433.13 ff.^);
434,11 ff.). Sie gestehen auch offen zu, schlechte Musikanten zu sein, und sind gewiss, dadurch
den Unwillen der Menge zu erregen (D. p. 407,14 ff. J. p. 434,5 ff.), da diese in ihrer Ab-
neigung gegen jede Art von ernsthafter Unterhaltung (D. p. 402,20 ff.; 405,11 ff. J. p.
456.2 ff.; 463,8 ff.) es schon an und für sich gewöhnlich an der nötigen Ruhe und Geduld
fehlen lasse (D. p. 400,7 ff.; 408,11 ff.; 409,26 ff. J. p. 443»22; 459,1 ff.).
Sind diese Beziehungen zwischen dem Misopogon und der Rede »an die Alexandriner«
schon ziemlich bedeutsam, so wird die Abhängigkeit des Kaisers von dem Rhetor noch viel
augenscheinlicher, wenn man .sieht, wie sie beide das gemeinsame Thema ȟber die Natur
des Volkes (D. p. 408,22 ff.)« in übereinstimmender Weise behandeln: Der Hauptvorwurf
gegen die Bewohner von Alexandria wie gegen diejenigen von Antiochia, nämlich der der
allzugrossen Leichtfertigkeit, ist bereits oben gestreift worden. Der Grund dieser
') Der Titel »Barthasser« wird p. 334,20 ff.; 435,7 ^-i 43^4 ff- durch die Mitteilung erklärt, die Antiochener
hätten den Kaiser seines langen Philosophenbartes wegen verspottet. Hiemit kann man Dion or. 72 »Ueber die
Philosophentracht« vergleichen, wo p 245,23 ff. und p. 246.31 ff. ebenfalls der Bart als dasjenige hervorgehoben
wird, das den Spott der Menge hervorruft. Wahrscheinlich hatte auch Herakleios den Kaiser wegen seines Bartes
mit Fan verglichen (s. or. 7 p. 270,1; vgl Weber a. a. O. p. 114 ff. und »>A. Greg.« p. 336), und dieser Vergleich
veranlasste wohl den Kyniker wie den Kaiser, ihre Mythen in ein bukolisches Gewand zu hüllen. *) Vgl. Breitung
a. a. O. p. 7. *) Vgl. Rohde a. a. O. p. 332.
35
Charaktereigenschaft wird nun von Julian und Dion gleichermassen in der geschichtUchen
Tradition der zwei Städte gesucht (D. p. 424,16 ff. J. p. 447,8 ff.), indem beide Redner je
eine Iiistorische Einzelheit ziemlich gezwungen in diesem Sinne auszubeuten suchen. Wie
äussert sich aber diese Leichtfertigkeit? Zunächst in der übertriebenen Vorliebe für das
Theater und die Rennbahn und dem daraus entspringenden unvernünftigen Gebaren an diesen
Vergnügungsorten (D. p. 400,1 ff.; 412,4 ff.; 413,25 ff.; 414,10 ff.; 415,28 ff. ; 4^7,ig ff.;
419.19 ff,; 422,7 ff.; 426,3 ff.; 429,28 ff, J. p. 43^,17 ff.; 437.7 ff.; 440,13 ff.; 442.12 ff.;
443.4 ff 18; 444,1; 445,23 ff.; 45^8 ff.; 453,1. 18 ff; 4S7.l8; 461.24 ff; 464,10 ff.; 465,5;
471,10), wobei den Leuten vorgehalten wird, sie hätten nur Interesse für Schauspiele, komische
Aufführungen, Mimen, Pantomimen, Spassmacher, Tänzer, Flötenspieler, Kitharöden, Pferde-
rennen und Wagenlenker. Den ganzen Tag schrieen sie nach Brot (D. p. 410,20 ff. J. p.
576,5), wie sie sich überhaupt allzufrei benähmen und von ihrer Freiheit einen verfehlten Ge-
brauch machten (D. p. 418.2 ff. J. p. 442,17 ff-; 445.6 ff.; 4S0.20; 456.12; 458,13 ff«; 4S9»2I ff.;
460,13 ff.). Sie seien stets zum Spotte aufgelegt und nie um ein Witzwort verlegen (D. p.
422.5 ff. J. p. 435,11 ff; 443,10 ff.; 445,21; 447,3 ff.; 459.6 ff. 17; 460,20 ff.; 465*18 ff.;
466,3 ff.; 469,21 ff.; 470,6 ff.; 12; 471,12 ff.; 473,9). Julian und Dion kommen endlich über-
einstimmend zu dem Schlüsse, ihre Zuhörer erniedrigten sich durch eine solche Aufführung
unter die Barbaren, und sie vergleichen sie daher zu ihren Ungunsten mit diesen (D. p.
414,2 ff. J. p. 464,6 ff.). Als besondere Einzelheit mag noch erwähnt werden, dass der Kaiser
p. 434,8 ff. sich auf seinem erhabenen, der Menge nicht genehmen und unerreichbaren
Philosophenstandpunkt mit Ismenias vergleicht, der von sich sagte: »So will ich wenigstens
den Musen und mir selbst Musik machen«. Denn diese Stelle scheint insofern auf den Rhetor
zurückzuweisen, als dieser p. 421,10 ff. den Alexandrinern, die sich an der schlechten neuen
Musik begeistern, zuruft: »Wenn ... ein Ismenias vor euch auf der Flöte spielte . . ., in
was für eine Verfassung würdet ihr erst dann geraten.?« Zudem erzählt Dion or. 78 (»Ueber
den Neid«) p. 276,11 ff. dieselbe Ismeniasanekdote, allerdings ohne den Namen des Künstlers
zu nennen*).
Der Misopogon zeigt auch mit einer anderen Städterede Dions eine gewisse Aehn-
lichkeit, nämlich mit der »borysthenischen*)«, die zum Teil lediglich eine Paraphrase des
phokylideischen Satzes ist: »Eine kleine Gebirgsstadt, ist sie im Innern gesund, besiegt das
verlotterte Ninus (p. 52,11 ff.)«. Wenn der Rhetor hier topographische und kultur-
historische Notizen über die Borystheniten einflicht, so enthält auch die kaiserliche
Schrift solche Stellen, besonders p. 464,2 ff., wo die Kelten und Germanen den raffiniert
üppigen, schwelgerischen und schamlosen Antiochenern als Muster eines unverdorbenen Natur-
volkes gegenüber gestellt werden. Nun sind die erwähnten Abschnitte der dioneischen Rede
höchstwahrscheinlich mit dem Geschichtswerk des Rhetors über die Geten (vgl. p. 48,5 ff.
49,9 ff.) in Zusammenhang zu bringen, in welchem wohl »den religiösen, politischen und
sozialen Einrichtungen ein besonderes Interesse geschenkt« wurde, da es »eine zugleich ethische
und politische Tendenz« hatte, nämlich an dem Beispiel der Geten das Naturgesetz zu er-
weisen, »dass die Völker und Staaten mit dem Augenblicke aufhören, lebensfähig zu sein,
*) Vgl. Hertlein zu Jul. Misop. p. 434,11. ') Or. 36: übersetzt von Stich a. a. O. p. 7 ff."'
36
als sie die Einfachheit der Sitten verlassen und den sinnlichen Genuss über die sittliche Tüchtig
keit stellen«. Durch den genannten Passus des Misopogon und die ebenda p. 438,7 ff. sich
findende anschauliche Beschreibung von Paris (vgl. epist. 38 p. 535,11 ff. die Schilderung von
Besangon und epist. 27 p. 516,21 flf. diejenige von Batnae^) wird man in entsprechender Weise
an Julians Werk »über seine eigenen Kriegsthaten^)« erinnert. Geradeso wie
nach dem Gesagten Dions Getika »als ein bedeutsames Gegenstück zu der ganz gleichzeitig
herausgegebenen Germania des Tacitus gelten« dürften, so darf man wohl mit einem gewissen
Grade von Wahrscheinlichkeit itir das historische Werk des Kaisers eine ähnliche Grundten-
denz voraussetzen« wobei ihm das »getische Tagebuch« des Rhetors als Vorlage dienen
mochte'). Dieses könnte auch die Quelle der Angabe über die Besiegung der Geten durch
Konstantinus (Jul. or. i p. 11^8 ff.) sein, der sich dieser Kaiser in den Caesares p. 420,21 ff.
rühmt, ferner fiir das »getische Siegeszeichen« des Trajan (Caesares p. 400,12), das derselbe
ebenda p. 420,12 ff. vorweist, und endlich für die von Caesar a. a, O. p. 412,14 ff. erwähnten
getischen Kriegsthaten Alexanders des Grossen (s. o. p. 23,5). Dass Julian die »bory-
sthenische Redec kannte, ist auch deshalb sehr wahrscheinlich, weil sie ja das philosophisch-
politische Thema »über das Gemeinwesen (p. 53,3; 54,4 ff.)"> und zwar über das irdische wie
über das göttliche, im Anschluss an Piaton behandelt^).
Die Abhängigkeit des Misopogon von Dion darf umsoweniger Wunder nehmen, als
wir ja bereits an drei anderen politischen Satiren Julians, dem Mustermythos, der Trostrede
und den Caesares dieselbe Beziehung dargelegt haben. Dadurch, dass der Kaiser sich aber
in dieser Spottrede geradeso wie der Rhetor auf den Standpunkt des moralischen Volks-
belehrers stellt, ergiebt sich noch eine weitere Berührung mit Dion. Dieser hängt sich nämlich
in seiner herben und bitteren^ Rede p. 407,23 ff. ganz offen den Mantel des Kynikers um^)
und preist p. 403,27 ff. den echten Philosophen als den »wahrsten und vollkommensten Er-
klärer und Propheten der unsterblichen Natur, der die Menschen belehrt . . . über das Leben,
der Pflicht und That voraus erwägt und deshalb der Tröster im Unglück und der Ratgeber
sein kann für Städte, Völker und Könige^) c. Das ist genau dieselbe Auffassung, welche
*) Vgl. Rohde a. a. O. p. 512,1. *) S. Schwarz a. a. O. p. ii ; Hecker a. a. O. p. 10 ff.; Koch,
»De Juliane imperatore scripiorum, qui res in Gallia ab eo gestas enarrant, auctore« Diss. Leid. 1890; Reinhardt
a.a.O. p. 15. 17 und die neuere Litteratur über die Alamannenschlacht bei Strassburg. ') S. Haupt a. a. O. p. 402 ff.
*) Bei dieser Gelegenheit möchten wir die Vermutung nicht unterdrücken, ob nicht Julian für manche seiner An •
gaben über persische und orientalische Dinge die »Persische Geschichte« Dions benützte: So z. B. für
die ganz kynisch gefärbte Anekdote von Demokritos und Dareios epist. 37 p. 53),!} ff., die nicht aus Lukian
Demon. § 2} stammen kann, weil hier der Kyniker Demonax und Herodes Aitikus an Stelle des Perserkönigs
auftreten und sich auch sonst ein Zusammenhang zwischen dem Kaiser und 'lem Sophisten von Samosata nicht
nachweisen lässt. Denn die von Petavius und Spanheim behauptete Abhängigkeit der Caesares p. 409,12 ff. von dem
Demonax J 65 bezüglich des in beiden Schriften teilweise vorkommenden Heroldsrufes ist nicht zu beweisen. Für
unsere Annahme, die erwähnte persische Anekdote könnte aus Dions Persika stammen, spricht auch das Vor-
kommen einer philosophisch gewendeten medizinischen Geschichte von dem Arzte Demodokos und dem Könige
Dareios bei Dion or. 77 (»Ueber den Neid«) p. 273,27 ff. Vgl. über die Demokritanekdote bei Julian Zeller
a. a. O. I * p. 765 Anm.; Buresch, »Consolationum a Graecis Romanisque scriptarum historia critica« Leipz.
Stud. für klass. Philol. 9 p. 8; über Dions Persika Haupt a. a. O. p. 387 ff. *) Vgl. Breitung a. a. O. p. 7,17.
•) Vgl Stich a. a. O. p. 6j Weber a. a. O. p. 222 ff. ^ Vgl. Burckhardt a a. O. p. 100.
37
Julian iiv-5einer sechsten und siebenten Rede von der Aufgabe des kynischen Philosophen i
hdit^yme diese in idealer Weise von Diogenes erfüllt worden sei. Diesen Anforderungen ent-
spricht er aber auch selbst in seinem Misopogon, der mit seinem ironischen, halb ernsten,
halb scherzhaften Ton, mit seiner rücksichtslosen, realistischen Selbstcharakteristik, mit seiner
Durchführung des Gegensatzes der einfachen und der üppigen Lebensweise eine nicht minder
kynische Färbung zeigt, als sie die alexandrinische Rede Dions aufweist. Wenn er z. B.
Misop. 437,16 ff. ausführt, er lebe in beständigem Kampfe mit seinem Magen, welchem er
die Sättigung mit vielen Speisen nicht gönne, so stimmt dies genau mit der Vorschrift über-
ein, die er or. 7 p. 293,11 ff. dem Kyniker macht: »Er muss beständig aus sich heraustreten
und erkennen, . . . dass er göttlich ist . . ., und er muss gar nicht auf seinen Körper achten
und seine eigene Bedienung .so einfach als möglich gestalten, so lange ihm der Gott be-
fiehlt, sich seines Körpers wie eines Werkzeugs zu bedienen«. Der gleiche Zug kehrt auch
in den Caesares p. 408,4 ff. an Julians idealem Vorbild Mark Aurel wieder, dessen Körper
»wegen Mangel an Nahrung . . . geisterhaft und durchsichtig« genannt wird, und ebenso an
dem Helden des Mustermythos, dem ja »der Leib auch nur wegen seines Dienstes auf der
Erde von den Göttern gegeben worden ist«. Dass er von dem kynischen Heros Herakles
stammt, der nach or. 7 p. 284,14 ja auch »den Kampf gegen den Mangel an Nahrung auf-
genommen«, ist bereits oben p. 18 gezeigt worden und geht auch deutlich aus der Schilderung
hervor, welche Diogenes bei Dion or. 8 (»Diogenes oder über die Tugend«) p. 150,4 ff. von
dem Heros entwirft. Da Julian sich mithin in seinem Misopogon geradeso wie Dion in seiner
Rede an die Alexandriner als Kyniker giebt^) und diesem damit den Charakter einer kynischen
Sittenpredigt verleiht, giebt er deutlich zu erkennen, dass es die von dem Rhetor geübte Art
der Volksbelehrung ist, welche er für die einem Herrscher angemessene hält.
Die Vertreter der kynischen .Popularphilosophie waren aber zu Dions Zeit nicht «ehr
geachtet. Dies beweist das bereits oben p. 34 ff. geschilderte Verhältnis des Redners zu der
Menge und die ausdrückliche Versicherung p. 403,6, die (kynischen) Philosophen würden
geradezu verachtet. Dies Thema wird auch or. 72 p. 245,22 ff.; 246,32 ff.; 247,11 ff.;
248,16 ff.; 250,23 ff. und or. 78 p. 284,8 ff. (beachte auch p. 281,32 ff.) behandelt, nicht
ohne das demütigende Zugeständnis, die zeitgenössischen Kyniker reichten eben bei weitem
nicht mehr an die ideale Grösse eines Diogenes hinan. Ganz dieselben Gedanken, nur etwas
allgemeiner, bringt nun aber auch Julian durch die Darlegung seines Verhältnisses zu den
Antiochenern und or. 6 p. 255,19 ff.— 257,5; or. 7 p. 289,20 ff.; 291,16 ff.; 291,25 ff. zum
Ausdruck, und wir finden bei ihm or. 6 p. 256.15 ff. eine dahin zielende Stelle, die wohl un-
mittelbar auf Dion zurückgeführt werden kann. Denn wenn er hier mit einem gewissen Be-
*) Vgl. Weber a. a. O. p. 82; 98; 114; 134; 160,1; Schi oss er, »Universalhistorische Uebersicht«
III 3 p, 61 ff.; Ullmann*, »Gregorius von Nazianz« Gotha 1867 p. 26,1; Naville a. a. O. p. 34; Semisch,
»Julian der Abtrünnige« Breslau 1862 p. 9; 16; Kellerbauer a. a. O. p. 20; 46,186; Bartenstein a. a. O. p. 42 ff. ;
Strauss a, a. O. p. 43; 49; Neander a. a. O. p. 73 flf. ; Span heim in seiner o. p. 27,1 genannten Vorrede; De
La B16terie a. a. O. p. 204; Helferich, »Krates Gebet« Progr. Karlsr. 1852 p. 49. Ganz verkehrt ist das Urteil
Mücke's a. a O. p. 173 flf. und zu allgemein dasjenige Klimeks a. a. O. p. 12. (S. auch Norden, »Beiträge zur
Gesch. der griech. Philos.« 19. Suppl. derjahrbb. für klass, Philol. 1892 p. 367 flf.; Zell er, Sitzungsber. der Berl.
Akad. 1893 p. 129 flf.; Heinrici, Theol. Litztg. 1894 p. 200 flf.); Jaehne a. a. O. p. 10.; Holzwarth, »Julian
der Abtrünnige« Freiburg 1874 p. 33; Hascnclcvcr. a, a. O. p. 56.
38
dauern eingesteht, er habe für seinen Zeitgenossen, den Kyniker Iphikles, früher nur das
Gefühl des Erbarmens übrig gehabt, so erinnert dieses Geständnis sehr an die Beurteilung
des Diogenes vonseiten Alexanders des Grossen, der bei dem Rhetor or. 4 p. 64,28 ff. von
anfänglichem verächtlichen Mitleid zur Bewunderung des Kynikers fortschreitet. Da sich
hinter dem Makedonierkönig hier sicherlich der von Julian vergötterte Trajan verbirgt (s.
o. p. 23), so wird die Abhängigkeit des Kaisers von dem Rhetor an der genannten Stelle
nur umso wahrscheinlicher und interessanter. Dieser verdankte, wie aus or. 8 p. 149,10 ff.
hervorgeht, den in der Rede an die Alexandriner durchgeführten Gedanken, dass die Menge
den wahren Philosophen den Rücken zuwende, um den Gauklern ihre Aufmerksamkeit zu
widmen, offenbar dem Diogenes, den er a. a. O. mit Berufung auf den im Leben verach-
teten, nach seinem Tode aber vergötterten Herakles bezüglich seiner Person dieselbe Klage
fuhren lässt.
Befinden sich nun aber der Kaiser wie der Rhetor den Antiochenern und den
Alexandrinern gegenüber in derselben Lage, so geben sie auch beide dieselben Erklärungs-
gründe dafür an. Sie machen übereinstimmend die Pseudokyniker ihrer Zeit für die Miss-
achtung der Philosophen verantwortlich, welche ihre Zuhörer von der wahren Philosophie
ab- und die Vertreter derselben in Verruf brächten (D. or. 32 p. 403,5 ff. J. or. 6 p. 256,8 ff.
or. 7 p. 289,24 ff,; 291,17 ff.). Dion thut dies in seiner Rede an die Alexandriner, Julian in
der Rede »gegen die ungebildeten Hunde (6)« und »gegen den Kyniker Herakleios (7)«,
die geradezu Streitschriften gegen solche falsche Schüler des Antisthenes^) sind. Aber auch
die Charakteristik dieser Menschenklasse, zu der sich der Kaiser und der Rhetor (D. or. 32 p.
402,22 ff. Jul. or. 6. 7.) ausdrücklich in Gegensatz stellen, indem sie ihr den Beruf zur Be-
lehrung und Besserung des Volkes bestreiten, ist bei ihnen dieselbe: Sie behaupten beide,
diese Leute trieben sich in den Städten umher (D. p. 402,32. J. or. 7 p. 289,21), seien sehr
unwissend (D. p. 402,31. J. or. 7 p. 291,26; 294,19 ff.; 304,21; 305,26). bettelten, um ihren
Bauch zu füllen (D. p. 403,1. J. or. 6 p. 256,27 ff.; 257,8 ff.), wendeten sich an die Kinder
und einfachen, ungebildeten Menschen (D. p. 403,1 Ü, J. or. 7 p. 289,2 ff.: vgl. frg. epist. p.
391,18 ff.; contra Galil. p. 206 A), schmeichelten der Menge (D. p. 412,26. J. or. 7 p.
289,23; 291,9 fi.; 305,25), bellten d\G ihnen Begegnenden an (D. p. 421,26. J. or 7 p. 291,10)
und bedienten sich der gewöhnlichen Sprache der Strasse und des Marktes (D. p. 403,3 ff
J. or. 7 p. 291,22). Ein Umstand ist bei dieser gemeinsamen Kritik der Pseudokyniker be-
sonders bezeichnend: Der Kaiser bringt dieselben nämlich geradeso wie der Rhetor in einen
engen Zusammenhang mit den schlechten Rednern, welche unter der Maske des Philosophen
des Gewinnes wegen vor dem Volke auftreten und es bloss unterhalten, statt es zu belehren
(D. or. 32 p. 403,13 ff.; 413,11 ff; 423,27. J. or. 7 p. 291,18 ff; 30S.25 ff.; 306,9 ff.).
Einem typischen Vertreter dieser Pseudokyniker trägt nun aber Julian seinen Muster-
mythos vor, von dem wir ausgingen; denn Herakleios hatte vorher eine Rede gehalten, in
welcher der Kaiser unter der mythischen Hülle des Pan (s. o. p 34,1) und des Phaethon (s. o.
p. 30 ff.) eine derbsatirische Beurteilung erfuhr. Diese Kritik hätte den Kaiser sicherlich
nicht weiter berührt, wenn sie nicht zugleich der Ausdruck desjenigen Teiles seiner Unter-
*) Vgl. »A. Greg.« p. 334 ff.
39
thanen gewesen wäre^ welche sich mit der reh'gionsphilosophischen Seite seines Herrscher
ideals nicht befreunden konnten und deshalb^ wie die zahlreichen im Misopogon verstreuten
Spoltreden der Antiochener beweisen, sein ganzes Regierungsprogramm, auch das politisch-
soziale, ablehnten. Dieser Herakleios stand ebenso wie der in der 6. Rede bekämpfte Pseudo-
kyniker im Bunde mit den Galiläern, und wir werden nicht fehlgehen, wenn wir in den
witzigen Gegnern, welche Julian In dem an die christlichen Antiochener gerichteten Misopogon
treffen will, ebenfalls solche christliche oder mit den Christen sympathisierende Kyniker
suchen^). Denn wie konnten die Galiläer dem politisch-sozialen Programm des Kaisers besser
die Spitze bieten, als indem sie für ihre praktische Propaganda bei den Kynikern Bundes-
genossen warben? So erklärt sich auch die Thatsache, dass der Muslermythos sozusagen
zwei Fronten hat. Auf der einen steht ein kynisches Kontingent, das bei Dion ausgehoben
worden ist, um damit die sozialen Praktiker im feindlichen Lager zu schlagen« auf der andern
aber steht das neuplatonische Aufgebot, welches Maximus von Epliesos (s, o p. 26 flf.) gegen
die theologischen Theoretiker bei' den Galiläern herbeigeführt hat. Er, der kynisierende Neu-
platoniker*), ist offenbar auch der Stratege, der den gemeinsamen Schlachtplan für die künstlich
geeinte praktisch-philosophische und spekulativ-theologische Streitmacht entwarf. Denn
als mit der persischen Niederlage Julians zugleich auch der grosse Kulturkampf des vierten
Jahrhunderts ausgefochten war, da riefen die Antiochener höhnisch- frohlockend aus: »Wo
bleiben nun deine Prophezeiungen, du närrischer Maximus? (s. Theodoret. bist. eccl. III c. 22
col. 1121 A, t. 82 ed. Migne)«^). Der Zeus entsprossene Herakles und Dionysos (s. o. p. 25
(f.), der Imperator und Pontifex Maximus des Römerreichs, war ja eines natürlichen Helden-
todes im fernen Asien gestorben. Es war ihm nicht gelungen, sein Herrschaftsideal, die
politische und religiöse Reformation der Weltherrschaft, so zu verwirklichen, wie er es in
seinem Mustermythos dargestellt hat, weil die Metaphysik und die praktische Philosophie des
Christentums im Laufe der letzten drei Jahrhunderte die veraltete und zu eng gewordene
Form des Hellenismus gesprengt hatte. Der mit grossem Idealismus und zäher Energie unter-
nommene Versuch, eine Renaissance des Hellenismus*) durch Verschmelzung neu-
platonischer Spekulation mit kynischer Sozialpolitik herbei zu fuhren und die entgötterte Welt
uieder in die von den Göttern vorgeschriebenen Bahnen zurück zu lenken, musste darum
scheitern. Aber der Zusammenbruch des Hellenismus im vierten Jahrhundert nach Christus
war nur der letzte Akt des grossen welthistorischen Schauspiels, in welchem die Regierung
Trajans und Mark Aureis gewissermassen ein retardierendes Moment vor dem Hereinbruch
der Katastrophe bildet. Denn auch diese beiden Herrscher hatten eine altgriechische Renais-
sance angestrebt. Trajan verehrte aber den Dion geradezu als Lehrer der Herrscherweisheit,
und die Regierung Mark Aureis beruht auf seinen sozialen Anforderungen^). Der Rhetor war
ein ebenso überzeugter als gewandter Apostel für die Pflege alter Bürger- und Herrscher-
Tugenden, er empfahl die alten Dichter und Philosophen seinen Zeitgenossen zur Nachahmung
und stellte ihnen wieder ein Bildungsideal auf. Was Wunder also, wenn Julian, der begeisterte
Verehrer eines Trajan und Mark Aurel (s. o. p. 22 ff.), bei demselben Manne in die Schule
*) Vgl. bA. Greg« p. 334 ff. *) S. o. p. 26 ff. ') Vgl. »A. Enc.« . *) Hierüber vgl. besonders Neander
a. a. O. p. 3 a.; 64 ff.; Straussa. a. O. p. 16 ff.; Rode a. a. O. p. 44 ff.; Hasenclever a. a. O. p. 29 ff. *) S. Stich
a. a. O. p. 4; Ranke. »Weltgeschichte« III p. 305.
4Q
ging, dem diese ihre reformatorischen Ideen verdankten? Musste doch auch die Vereinigung
von platonischer Spekulation mit kynischer Sittenlehre bei Dion^) dem neuplatonischen Kyniker
auf dem Caesarenthron sympathisch sein.
Wer wies ihm aber den Weg zu Dion? Man könnte zunächst an Maximus von
Ephesos denken, wenn sich nicht unter den Lehrern Julians noch ein anderer fände, der ihm
hierin qfiit Recht den Rang streitig macht. Es ist der eklektische Platoniker Themistios,
der, wie bereits oben p. 27 ff. gezeigt wurde, einerseits mit Dion sehr vertraut war und
andrerseits dem Kaiser an mehr als einer Stelle seiner Schriften zum Vorbild diente^). Mit
diesem Philosophen stand Julian schon lange vor der Abfassungszeit des noch erhaltenen an
ihn gerichteten Briefes, also vor der Wende des Jahres 361*), in regem schriftlichen Verkehr
(s. ep. ad Them. p, 328,13; 336,14 flf.; 344,24 ff.), und wir können deshalb wohl auch die
Anklänge an Dion, die sich in den früheren, bis ins Jahr 355 hinaufreichenden Schriften des
Kaisers finden, auf seine Vermittlung zurückführen. Themistios stand dem Rhetor auch
philosophisch sehr nahe. Trotz seines weitgehenden Eklekticismus neigte er sich nämlich
doch hauptsächlich der praktischen Philosophie zu. wie seine von Julian epist. ad Them. p.
344,8 ff. überlieferte Definition der Aufgabe des Philosophen als der »Unterweisung in den
das Gemeinwohl betreffenden Angelegenheiten« und nicht minder die or. 17 ff. 261,27 ff. ed.
Dind. gegebene Begriffsbestimmung der Philosophie: »Jedes Streben nach der Tugend ist
Philosophie (vgl. Julian or. 6 ff. 243,7 ff.J ep. 59 ff. 571,18 ff.)« beweisen. Dass es die
kynische Tugendlehre war, welche ihm die erhabenste schien, erfährt man aus seiner Rede
»über die Tugend«, wo er a. a. O. p. 442 dem Weg, »den zuerst Sokrates fand und auf dem
Anthisthenes, Diogenes und Krates nach ihm schritten, die ihn vorzugsweise zierten und
namhaft machten«, vor allen andern den Preis zuerkennt. Seine Vorliebe für den Kynismus
macht sich auch sonst bemerklich: So namentlich in der 21. Rede, in welcher sich viele
kynische Anklänge finden. Ja sogar in dem von Julian beantworteten Briefe fanden sich
offenbar solche. Denn hier hatte er ja, um dem Kaiser seine Herrscheraufgabe möglichst
erhaben darzustellen und den höheren Wert der praktischen (»unter freiem Himmel bethätigten«
P. 340f5; vgl. Epikt. Diatr. III 22, 16, wo der Kyniker »der unter freiem Himmel sich bethä-
tigende« genannt wird) gegenüber der theoretischen Philosophie ins Licht zu stellen, ihm
gerade wie einst Dion dem Trajan das Beispiel des Herakles vor Augen gehalten (s. p.
329,1)*). Als ein zweiter Herakles stellt sich aber Julian in seinem Mustermythos dar, dessen
dioneisches Vorbild gelegentlich auch von Themistios nachgeahmt wird (s. o. p. 28).
Demnach fiele dem Themistios ein wesentlicher Anteil an den Renaissancebe-
strebungen Julians zu. Er ist es, welcher dem Kaiser jenes kynische Kontingent für den
*j Hiefiir ist besonders die o. p. 35 ff. erwähnte »borysthenische Rede (56)« bezeichnend. *) Vgl.
Wyttenbach, »Animadversiones« a. a. O. p. i}2; ijj; 144; 165; 190; 191 und Bamer a. a. O. p. 4} fF. Allerdings
ist merkwürdigerweise bei den Alten nicht viel über das Verhältnis Julians zu dem Philosophen zu finden, worüber
sich bereits PaganinoGaudenzio, »De Pythagoraea animarum transmigratione« Pisisi64i. 4® p. 168 in einer:
»De philosophica cognitione Juliani imperatoris etc.« betitelten Abhandlung wunden. Vgl. auch Zell er, »Philos.
der Griech.« III, 2* p. 742,2, wo jedoch epist. ad Themist. nicht hätte übergangen werden dürfen. ') S. Schwarz
a. a. O. p. IG. *) Ebenso empfiehh er ihm epist. ad Them. p. 545»" den Lehrer von Dions Zeitgenossen
Epiktet. Musonios, als ein Mustereines praktischen Philosophen. Vgl. über diesen u. a. unsere »Quaestiones Epicteteae«
Friburg. Brisig. x888 p. 41 ff".
41
sozialen Kampf mit den Galiläern zuführte. Von ihm wurde Julian im Streben nach der Er-
reichung des einen Ideals^ das er ihm vorgehalten hatte, unterstützt. Themistios wurde für
den Kaiser der Interpret des praktisch philosophischen Herrscherideals, wie es bei Dion
Chrysostomos in dem Heraklesmythos zum Ausdruck kommt. Indem wir im obigen die
Abhängigkeit des Kaisers von dem Rhetor untersuchten, glauben wir auch gezeigt zu haben,
wie sich bei ihm das Heraklesideal darstellt. Wir wissen freilich so gut wie Themistios, dass
der philosophisch- politische Januskopf Julians ausser dem erdwärts gewandten, den Spuren
des Herakles folgenden, bärtigen Kyniker- Antlitz noch ein zweites besitzt: Das Neuplatoniker-
Gesicht, welches mit seinem ekstatischen Blicke bis in die Regionen des überirdischen Dionysos-
Helios (s. or. 4 p. 186,24 ff.) dringen will. Allein die ZQge dieses Gesichtes stammen nicht
aus Dion Chrysostomos.
V
Register.
Achilleus 23,2.
Alexander d. Gr. 12,2; 20; 22 fl.;
25; 27; 29; 36; 38.
Alkibiades 27.
Antisthenes 6; 9; 13.
Aristoteles 29.
Asklepios 11,4.
Aurelian 22.
Christen (Galiläer) 11,4; 22; 28,4; 31
flf.; 39.
Diogenes 20; 23,1; 26; 30,5; 37 ff.
Dion or. I: 6 ff.; 13 ff.; 16; 18 ff.;
21 ; 23 ff.; 28; 30 ff - or. II: 6,3;
7,1; 8,1; 11; 12,2; 14,2. 3; 20;
23,2; 33. - or. III: 7,1; 8,1; 14,4.
— or. IV: 6,3; 7,1; 8,1; 9,1; 11;
12,2; 20; 23 ff.; 30,5; 38. - or.
V: 8,2; 11,1; 20,1. - or. VlII:
37 ff - or, XII: 31 ff - or. XIII:
16 ff. - or. XVIII: 33,4 - or.
XXXII: 84 ff.; 88. - or. XXXVI:
31; 85 ff. — or. LXII: 7,1. -or.
LXIII. LXIV. LXV: 29,2. - LXXll:
34,1; 37. - or. LXXVII: 36,4.—
or. LXXVIII: 35; 37. - Getika:
35 ff. - Persika: 36,4. — Über
die Tugenden Alexanders: 23,5. —
Trajan- Biographie : 23,5.
Dionysos 6; 11,4; 20; 25 ff.; 27
ff; 41.
Domitian 16.
Euripides 14,1; 27.
Flavius Sabinus 16.
Galiläer s. Christen.
Galllenus 20.
HeUand-Idee 11,4.
Helios 22; 23.1; 30 ff.; 41.
Herakleios 1; 5; 15; 30; 34,1; 38 ff
Herakles 5; 6 ff; 9 ff: 11,4; 12;
12,2; 13; 18 ff; 20; 20,1; 23 ff;
27 ff; 37 ff; 40 ff
Hirten-Vergleich 8; 12 ff; 14; 28.
Homer 8; 14; 20.
Jesus 22.
Iphikles 38.
Ismenias 35.
Julian or. I: 12,4; 13; 14,4; 15,2;
20,1; 22; 23.5; 30; 36. - or. II
12 ff; 14 ff; 17; 24; 30. - or
III: 12,2; 30. - or. IV: 3,3; 15
18; 22; 23; 28,4; 30; 41. - or
V: 10; 11,1; 18. - or. VI: 8,1
23,5; 27; 37 ff - or. VII: 1
10,1; 11; 15; 17,4; 23; 25; 30;
33; 37 ff. Skizze der Herakles-
Sage 6; 9 ff.; 18; 24. Muster-
niythos 1 ff; 11 ff.; 15; 21 ff;
24 ff; 31; 38 ff - or. VlU; 16 ff;
21; 27. — epist. ad Athen.: 12,1;
17.3. — fragni. epist.: 29 ff.; 31
ff.; 33. — Caesarcs: 17 ff.; 21 ff;
24 ff; 28 ff; 29,1; 31; 37. -
Misopogon: 8,1; 28,3; 34 ff.; M,l\
39. — epist. XVI: 16,3. - epist.
XVII: 16. - epist, XXVII: 36. -
epist. XXXV II: 36,4. - epist.
XXXVIII: 36. — epist. LIX: 23,5.
— epist. LXIII: 31. — Galiläer
Schrift: 32 ff. — Kronia: 15; 21;
28.4. — Über s. Kriegsihaten : 36.
Ixion 11.
Konstantinus 12; 15; 20; 22; 26; 36.
Konsuntius 12; 12,4; 14 ff.; 20,1; 22.
Kronos 19; 24; 28.
Kvnisnius 8,1 ; 24.1; 11,4; 14,1. 3; 20;
2:^, I. 5; 24; 25; 2t; ff; 28,4; 30;
34,1; 36.4; 36 ff; 38 ff; 40 ff
Lukian 36,4.
Magnentius 13; 15; 20.
Mark Aurel 8,1; 18; 22; 22,3; 23,3;
24 ff; 26; 27; 37; 39.
Maximus von Ephesos 16,.3; 26 ff.; 39.
Mithras 8,1 ; 22.
Musonios 40,3.
\euplatonismus 10; 11,4; 18; 25 ff.
28,4; 39 ff
Odysseus 17.
Okiavian 19; 25.
Pan 34.1; 38.
Parodie 15 ff; 20; 27.
Perserkönig 14,4; 36,4.
Perseus 5 ft.
Phaethon 80 ff.; 38.
Philotes 21; 21,1.
Platou 8; 27; 28; 36; 40.
Plutarch 27,2.
Poseidon 14,4.
Prodikos 5; 13.
Sajinus s. Flavius.
^allüstius 15 ff; 21; 27; 28,4.
Satire 12; 15 ff.; 17 n.; 24; 34.
Silen 20; 26 ü.; 29.
Sokrates 14,3; !lÜ ff.
Spudogeloios 27.
Tacitus 36.
Themistios 14,4; 18,1; 27 ff.; 29;
40 ff
Theseus 6.
Trajan 23; 23,5; 25; 30; 36; 38 ff.
Typhon 13; 13,2; 15.
Ik *•
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the Library on or before the last date
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beyond the specified time.
Please return promptly.
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